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Probleme der jungen Generation aus der Sicht eines SED-Funktionärs (September 1946)

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Wollen wir die politischen und ideologischen Verhältnisse und Strömungen in der Jugend untersuchen, so muß von der Erkenntnis ausgegangen werden, daß die junge Generation wohl nach außen eine einheitliche umfassende Masse darstellt, in ihrer inneren Struktur aber in verschiedene Gruppen zerfällt. Ziemlich scharfe Grenzlinien lassen sich zwischen den Vierzehn- bis Achtzehnjährigen und den Neunzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen ziehen. Diese unterscheiden sich wieder von den Jugendlichen älteren Jahrganges. Den beiden ersten Gruppen ist gemeinsam, daß sie keine anderen Maßstäbe besitzen als die der Hitlerzeit, wobei die Achtzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen heute noch die Gruppe der Jugend darstellen, die noch abwartend ist. «Wir haben uns die Finger genügend verbrannt, laßt uns mit allem zufrieden!» ist eine oft gehörte Redensart. Auf diese Gruppe trifft vor allem die Feststellung eines ausländischen Berichterstatters zu, der schrieb: «Unter Politik können sich offenbar sehr viele Menschen in Deutschland nur das vorstellen, was die Nationalsozialisten aus der Politik gemacht haben, etwas Schlechtes, das abzulehnen ist. [ . . . ] Bei der jungen Generation, bei denjenigen, die nur den Nationalsozialismus und seine Begriffswelt gekannt haben, scheint diese Haltung besonders weit verbreitet zu sein [ . . . ] »

Aufgewachsen im Nazismus, erzogen in den verruchten Lehren der Hitlerbarbarei, fremd dem Gedankengut anderer Völker, brach diesen jungen Menschen eine Welt zusammen, die sie haltlos machte und mißtrauisch, skeptisch, teilweise zynisch dem Neuen gegenüber. Gerade diese zweite Gruppe hat es besonders schwer, sich zurechtzufinden. Die Jüngeren finden sich schneller zurecht und sie entwickeln bereits eine beachtliche gesellschaftliche Aktivität. Das drückt sich auch darin aus, daß die große Mehrheit der Mitglieder der «Freien Deutschen Jugend» Jungen und Mädel zwischen vierzehn und achtzehn Jahren sind.

Seit dem Tage des Zusammenbruchs geht ein politischer Klärungsprozeß in der Jugend vor sich, der in der sowjetisch besetzten Zone eine beträchtliche Breiten- und Tiefenwirkung angenommen hat. Kurz nach der Bildung der demokratischen politischen Parteien entstanden bei den Selbstverwaltungen der Städte und Dörfer antifaschistische Jugendausschüsse, deren Aufgabe es war, die Jugend zu sammeln und im demokratischen Sinne zu erziehen. Die Bedeutung der Jugendausschüsse lag darin, daß sie der Jugend den Weg ebneten für das Entstehen einer großen, einheitlichen und überparteilichen Massenjugendorganisation. Aus den Jugendausschüssen erwuchs auch jenes Aktiv, das heute an der Spitze der Organisationen der «Freien Deutschen Jugend» steht. Seit dem 7. März besteht in der Sowjetzone die FDJ, die gegenwärtig in den fünf Ländern und Provinzen rund 300 000 Mitglieder zählt und neben den Parteien, Gewerkschaften und Frauenausschüssen schon eine beachtliche gesellschaftliche Rolle spielt. Die FDJ ist eine Jugendorganisation, in deren Reihen alle Weltanschauungen und Konfessionen sowie die verschiedensten Schichten der Jugend Platz und Spielraum haben. War es doch mit ein Ergebnis des Krieges, daß eine ganze Reihe sozialer Schranken niedergerissen wurden. Vor der Arbeiterjugend, den Studenten, der Bauernjugend wie den jungen Angestellten stehen die gleichen großen Probleme. Sie können nur gemeinsam und durch gemeinsame Anstrengungen gelöst werden. Deshalb fiel der Gedanke einer einheitlichen Jugendorganisation auch auf fruchtbaren Boden. Und deshalb ist die Jugendbewegung in der sowjetisch besetzten Zone viel fortgeschrittener als in den westlichen Gebieten Deutschlands.

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(Verner war KPD-Funktionär und «Westemigrant», 1946/47 Mitglied des Zentralrats der FDJ.)



Quelle: Paul Verner: „Probleme der jungen Generation“, Einheit Nr. 1 (September 1946), S. 240 ff; abgedruckt in Christoph Kleßmann und Georg Wagner, Das gespaltene Land. Leben in Deutschland 1945-1990. Texte und Dokumente zur Sozialgeschichte. München: C.H. Beck, 1993, S. 126-28.

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