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Wilhelm Pieck, „An die Heimkehrer” (1946)

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Das deutsche Volk ist ein armes, ein Bettelvolk geworden. Einen Teil unseres Landes im Osten hat Hitler in diesem Kriege verspielt, und es besteht die große Gefahr, daß wir auch noch das Ruhrgebiet und das Saargebiet verlieren und Deutschland in verschiedene Länder aufgeteilt und damit die Einheit Deutschlands zerstört wird.

Es ist ein grauenhaftes Erbe, das uns Hitler hinterlassen hat. Aber wir dürfen nicht verzagen, wir müssen schwer arbeiten, um uns aus der Not herauszukommen und ein neues Deutschland aufzubauen. Wir rechnen dabei auf die Hilfe der alliierten Mächte, die uns in ihren Beschlüssen versprochen haben, Deutschland nicht zu vernichten, sondern unserem Volke zu helfen, wieder seine Heimat und seine Wirtschaft aufzubauen und ihm auch die Möglichkeit geben wollen, wieder in die Gemeinschaft der anderen Völker aufgenommen zu werden.

Aber dazu haben wir sehr ernste Aufgaben zu erfüllen, wobei an der Spitze steht, daß wir selbst von uns aus Garantien schaffen, daß niemals wieder von deutscher Seite ein Krieg angezettelt werden kann. Die Kriegsverbrecher und Kriegsschuldigen müssen nicht nur für ihre Verbrechen bestraft, sondern die Konzerngewaltigen und Großgrundbesitzer müssen völlig entmachtet werden. In der sowjetischen Besatzungszone wurde durch die Bodenreform und durch die Enteignung der Kriegsverbrecher und aktiven Naziführer damit der Anfang gemacht. Auch sonst müssen alle für die großen Verbrechen an unserem Volke verantwortlichen Naziführer auf das Strengste bestraft und unschädlich gemacht werden.

Hierbei ein Wort zu den Mitgliedern der liquidierten Nazipartei, die unter Zwang oder aus Spekulation Mitglieder dieser Partei wurden, ohne an ihren Verbrechen teilzunehmen, die sogenannten nominellen Pg’s. Die SED hat sich dafür eingesetzt, daß gegen diese Menschen keinerlei Sondermaßnahmen ergriffen werden, sondern ihnen die Möglichkeit gegeben wird, an unserer demokratischen Aufbauarbeit teilzunehmen. Aber wir sagen ihnen mit aller Eindringlichkeit, daß sie durch ihre Arbeit beweisen müssen, ernsthaft mit dem Nazismus gebrochen zu haben.

Unsere wichtigste Aufgabe ist, die Not unseres Volkes zu mildern und vor allen Dingen unsere Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Aber das ist im Gegensatz zu früher nicht mehr die Aufgabe der Großkapitalisten, sondern das muß unter der vollen Verantwortung der Arbeiterschaft, der Gewerkschaften und Betriebsräte geschehen. Ihnen muß der entscheidende Einfluß dabei gesichert sein. Ein großer Teil der Betriebe wird als ehemalige Kriegsbetriebe zerstört oder zu Reparationszwecken abgebaut werden. Umso stärker haben wir ein Interesse daran, unsere Industrie als Friedensindustrie zu entwickeln und durch ihre Produktion für die Befriedigung der Bedürfnisse unseres Volkes Sorge zu tragen.

In erster Reihe steht hier die Sorge für die Ernährung unseres Volkes, ferner für die Wiederherstellung der Wohnungen, der Beschaffung von Heizmaterial, von Kleidung und Schuhen. Das ist besonders dringlich, um im Winter einigermaßen geschützt zu sein. Aber gerade hier gilt es, daß alle Männer und Frauen und die Jugend an dieser großen Aufbauarbeit und im Rahmen der großen Volkssolidarität teilnehmen.

Wir richten unseren Appell an alle, die dazu guten Willens sind. Wir wenden uns an die städtische Bevölkerung und an die Bauernschaft, in solidarischer Verbundenheit dieses große Werk anzufangen und zu vollbringen.

Wir wenden uns besonders an die Frauen, weil sie noch mehr als früher die Überzahl unseres Volkes sind und am Betriebsleben teilnehmen werden. Ihnen muß ein sehr viel größerer Einfluß als früher auf die wirtschaftliche und politische Gestaltung des neuen Deutschlands eingeräumt werden.

Auch der Jugend kommt eine hohe Verantwortung für diese Arbeit zu. Wir müssen ihr alle Bildungsmöglichkeiten erschliessen und für ihre Fortbildung und eine bessere Gestaltung ihrer Zukunft Sorge tragen.

Das sind die großen Aufgaben, die heute vor unserem Volk stehen, und ich richte noch einmal an Euch den Appel, bei Eurer Rückkehr in die Heimat im vollen Selbstvertrauen und mit aller Energie an ihrer Verwirklichung mitzuarbeiten. Schaut Euch zu Hause um und reiht Euch ein in das Leben und die Arbeit für unser neues, demokratisches und friedliches Deutschland. Ich wünsche Euch allen ein frohes Wiedersehen mit Euren Angehörigen.



Quelle: BA – SAPMO, DY, NY 4036, 428, 20-24.

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