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„Die Ausländischen Arbeitskräfte und Wir”, Frankfurter Allgemeine Zeitung (3. Juni 1961)

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Diese Frage ist weder belanglos noch gar überflüssig. Der Terminus nimmt Entscheidungen vorweg und deutet Entwicklungen an. Allein schon, daß wir keinen zwingenden, feststehenden Begriff für diese Menschenschicht haben, belegt unsere Unsicherheit. Es ist eine alte Erfahrung: Wo der entsprechende Terminus fehlt, da ist auch der Inhalt nicht geklärt. Seinerzeit sprach man von „Wanderarbeitern“. Gott bewahre uns davor, daß unsere ausländischen Arbeiter noch mehr wandern! Im Dritten Reich hießen sie Fremdarbeiter. Das war eindeutig: Sie sollten für uns arbeiten, und sie sollten fremd bleiben. Ist das unser Ziel? Doch nicht.

Die Schweiz spricht auch heute unbefangen vom „Fremdarbeiter“. Sie kann es. Das Wort ist dort nicht politisch überschattet. Mehr als das: In der Schweiz hat die Bezeichnung „Fremdarbeiter“ einen tieferen, warnenden Sinn. Bei fünf Millionen Einwohnern wird die Zahl der ausländischen Arbeiter in diesem Jahr 400 000 weit übersteigen. Rund ein Viertel der berufstätigen Bevölkerung stammt also aus dem Ausland. In Frankreich sind es 8 Prozent, bei uns einstweilen 1,8 Prozent. Die Schweiz steht vor einem echten Dilemma: Auf der einen Seite erfordert die Erweiterung der Produktion die Hereinnahme neuer ausländischer Kräfte. Auf der anderen Seite erhebt sich die Besorgnis vor der Überfremdung.

Hierzulande wird die Zahl der „Fremdarbeiter“ in diesem Jahr zwar einen Rekord erreichen, bei dem es aber bei anhaltender Konjunktur noch nicht bleiben kann. Das deutsche Kräftepotential steigt bis 1975 in absoluten Zahlen nicht mehr. Im Verhältnis zu den erwerbstätigen Jugendlichen und Alten nimmt es sogar ab. Damit stehen wir vor einem anderen Dilemma: Entweder die Zahl der hier tätigen Ausländer erhöhen, wobei wir bereits auf den Widerstand der Heimatländer stoßen, oder aber Industriebetriebe im Ausland errichten. Die dritte Möglichkeit wäre die Assoziierung mit ausländischen Unternehmen, die von Griechenland und Spanien nachdrücklich gewünscht wird, freilich nicht immer verbunden mit der erforderlichen Konzessionsbereitschaft. Unabhängig aber, wohin die Entwicklung tendiert, verlangt unser eigenes Interesse, daß die ausländischen Arbeiter bei uns nicht „fremd“ bleiben, sondern sich dem Gastland bis zu einem gewissen Grad assimilieren und als bereitwillig Assimilierte in ihre Heimatländer zurückkehren. Damit ist zugleich auch eine Grenze angedeutet: „Ausländer-Ghettos“ würden, selbst wenn sie bestens gepflegt sind, das Ziel der Assimilierung blockieren.

Die jetzige Bezeichnung „Ausländische Arbeitskräfte“ ist eine Ausgeburt der Bürokratie! Im Alltag überhaupt nicht zu gebrauchen: „Giuseppe, die ausländische Arbeitskraft…“. Und damit berühren wir wieder allein schon durch den Terminus den neuralgischen Punkt überhaupt: Die große Wanderbewegung klemmt sich mühsam durch das Netz der Bürokratien oder aber an ihm vorbei. Nach dem EWG-Vertrag ist spätestens bis zum Ablauf der Übergangszeit die Freizügigkeit für alle Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten herzustellen. Dazu Helmut Minta, der Leiter der Auslandsabteilung der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV): „Diese Freizügigkeitserklärung der WEG wird….mehr als 70 Millionen Arbeitnehmer umschließen. Es ist zu hoffen, daß sich diese Regelung nicht in der Erledigung von Formalien und bürokratischer Papierbewegung erschöpft, sondern daß ein Verfahren gefunden wird, das der europäischen Wirtschaft und den europäischen Arbeitnehmern mit Hilfe einer individuellen funktionsfähigen Arbeitsvermittlung erlaubt, dort Bewerber oder Stellen zu finden, wo und wie sie gewünscht werden.“ Ähnlich der Präsident des Landesarbeitsamtes Südbayern, Dr. Siebrecht: „Ein erfolgreicher europäischer Arbeitsmarktausgleich…setzt eine ausgezeichnet funktionierende unbürokratische Arbeitsvermittlung und Anwerbung…voraus, wobei staatliche Maßnahmen und private Initiative ineinandergreifen sollten.“

Das ist eben die große Frage: Kann es überhaupt eine behördlich gesteuerte und dabei individuelle, unbürokratische Anwerbung und Vermittlung geben? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? In der Praxis jedenfalls sind wir von diesem Ideal weit entfernt. Der Generaldirektor des Katholischen Auswanderer-Instituts in Madrid F. Ferris, hat unlängst auf einer Tagung in Freiburg unverhohlen erklärt: „In Spanien werden die für den Export bestimmten Apfelsinen sorgfältiger ausgewählt als die nach Deutschland entsandten Arbeiter.“ Andererseits hat aber auch noch niemand etwas von einer weitsichtig geplanten privaten Initiative der Wirtschaft gehört. Vorderhand stehen wir vor der Symbiose zweier Bürokratien: der mediterranen, traditionell schlecht funktionierenden, streckenweise auch korrupten, weil schändlich bezahlten, und der deutschen traditionell überfunktionalisierten.

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