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„Die Ausländischen Arbeitskräfte und Wir”, Frankfurter Allgemeine Zeitung (3. Juni 1961)

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Spanien und . . .

Widerspruchsvoll ist auch die Situation in Spanien: Die spanische Presse hat bekanntlich Ende vorigen Jahres „aus heiterem Himmel“ eine regelrechte Kampagne gegen die Verpflichtung von Arbeitskräften nach Deutschland vom Zaun gebrochen. In einer Reihe Zeitungen wurde das Schicksal Deutschlands in düsteren Farben geschildert: Sie würden von deutschen Abenteurern, Wucherern und Geschäftsleuten rücksichtslos ausgeplündert; sie würden unter Tarif bezahlt. Das System der Ratenzahlung sei eine weitere Form der Ausplünderung. Dazu der Mietwucher der Vermieterinnen, die in allen Wohnecken Betten aufstellen zum Preise eines Palasthotels. . .

Lassen wir den Wahrheitsgehalt dieser Anschuldigungen einstweilen dahingestellt. Zu leugnen ist nicht, daß sich auf dem schwarzen und grauen „Ausländer-Arbeitsmarkt“ manche zwielichtigen Gestalten zu betätigen suchen. Der deutsche Botschafter in Madrid hat seinerzeit „ernste Bedenken“ gegen diese gesteuerten Zeitungsübertreibungen angemeldet und Professor Erhards Besuch in Spanien hat den Himmel kostenpflichtig aufgehellt. Geblieben aber ist der Eindruck einer zwiespältigen Haltung maßgebender spanischer Kreise: Gern entlastet man sich von seinen Arbeitslosen, zugleich aber befürchtet man die politische Einstellung und Umstellung der spanischen Rückkehrer. Das ist nachfühlbar. Vorsichtshalber lässt man sie schon in Deutschland nicht ganz unbeobachtet.

. . . Griechenland

Griechenland endlich hat nie einen Hehl daraus gemacht, da es in der Abwanderung seiner Arbeitskräfte einen vorübergehenden Zustand sehen möchte und, daß es der Industrialisierung des eigenen Landes den Vorzug gibt. In der industriellen Ausbildung der Abwanderer erblickt man eine erforderliche Zwischenstufe. Die ausländische Arbeitskraftreserve ist also schwer abschätzbar. Allein für Italien schwanken amtliche und halbamtliche Schätzungen zwischen 500 000 und 1.5 Millionen. Auf jeden Fall müssen wir uns mit Norditalien, Frankreich und der Schweiz teilen, wo Löhne und Sozialversicherung eher günstiger liegen als bei uns und wo hinsichtlich der Mentalität – wenn man von Norditalien absieht – weniger Anpassungsschwierigkeiten bestehen.

Des deutschen Spießers Wunderhorn

Ein besonders feines Ohr für die Zwischentöne ausländischer Mentalität war bekanntlich noch nie unsere starke Seite. Es ist hohe Zeit darauf zu achten, daß nicht unser Middle-Management – angefangen vom Polier und Vorarbeiter bis in die Betriebsleiterschicht hinein – aus Tollpatschigkeit mehr Porzellan zerschlägt als Botschafter, Personalchefs und Sozialbetreuer kitten können. Auch eine leidlich gefüllte Lohntüte wiegt die gar nicht bös gemeinte Anrede: „He du Makkaroni!“ nicht auf. Die mediterranen Völker haben viel mehr gemeinsam als man denkt. Dazu gehört die sensibilita’, was wieder einmal nicht zu übersetzen ist. „Reagibilität“ kommt vielleicht am ehesten hin, aber mit dem Unterton einer großen Verletzbarkeit, die durchaus nicht immer kundgetan wird. Aber man täusche sich darüber nicht! Was den Ausländer hierzulande am meisten verdrießt, sind noch nicht einmal die Wohnverhältnisse. Obgleich sie nicht so sind, wie uns ein offiziöser Unternehmer-Narichtendienst arglos versichert: „Vorwürfe wegen schlechter Unterbringung dürften im allgemeinen unberechtigt sein.“ Was dem Ausländer auf Schritt und Tritt auf die Nerven fällt, das ist die weitverbreitete spießbürgerliche, schulmeisterliche Selbstgerechtigkeit unserer sozialen Mittelschichten. Das ist wenigstens die Auffassung der wohl besten Kenner der Materie, nämlich der italienischen Sozialbetreuer. Die Unterkunftsverhältnisse haben sich im letzten Jahr gebessert. Mit den von der Bundesanstalt bereitgestellten 100 Millionen werden sie sich weiter bessern. Die Verpflegungssitten werden sich wechselseitig einspielen. Das alles ist wichtig. Entscheidend jedoch ist, ob wir uns auf die ausländischen Arbeitskräfte einspielen, ob wir die richtige Einstellung finden. Alfred Krupp hat in seiner Rede beim Firmenjubiläum im März dieses Jahres gefordert: „Wir sollten alle bemüht sein, ihnen den Aufenthalt in der für sie fremden Umgebung so angenehm wie möglich zu machen.“ Bis wie weit herunter hat dieser Funke gezündet? Zunächst aber müssen wir selbst über Grundsätzliches ins reine kommen: Sind unsere jetzigen ausländischen Arbeiter eine Neuauflage der ehemaligen Wanderarbeiter? Oder sind sie im Prinzip etwas Neues? Sind sie hands, die man anwirbt und wieder entlässt, oder sind sie ein nicht mehr entbehrlicher Faktor unserer Wirtschaft? Wieweit sind sie als Rückkehrer bei sich zu Hause die Schrittmacher der Industrialisierung und des dazugehörigen Marktes? Und endlich, wieweit ist der Arbeitskräfte-Ausgleich ein Bestandteil der noch schattenhaften Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft? Von der Frage, wie wir uns zu den ausländischen Arbeitskräften einzustellen haben, hängt im Grunde alles ab, bis hinein ins praktische Detail; zum Beispiel bis zur Bauweise der Unterkünfte. Die Antwort ist heute noch nicht leicht, denn sie eilt eben der Gegenwart voraus. Die Schwierigkeit beginnt schon mit einer nicht gelösten Vorfrage.

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