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Ein Skeptiker betrachtet die Hexenverfolgung eingehender – Friedrich von Spee (1631)

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17. Wenn sie da auch diese Indizien widerlegt und zu den einzelnen Punkten vollkommen befriedigende Aufklärungen gibt, so wird das doch nicht beachtet noch aufgeschrieben. Die Indizien behalten sämtlich ihre Kraft und Bedeutung, wie sehr sie auch in vorzüglicher Entgegnung entkräftet sein mögen. Man befiehlt lediglich, die Angeschuldigte in den Kerker zurückzuführen, damit sie sich besser überlege, ob sie verstockt bleiben wolle, denn schon jetzt ist sie, da sie sich rechtfertigt, verstockt. Ja, wenn sie sich vollkommen zu rechtfertigen weiß, dann ist das sogar ein neues Indiz, denn man sagt, wenn sie keine Hexe wäre, würde sie nicht so beredt sein.

18. Wenn sie es sich hat überlegen können, wird sie andern Tages wieder vorgeführt, und man liest ihr den Beschluß vor, sie foltern zu lassen; gerade so, als ob sie nicht schon früher etwas auf die Beschuldigungen entgegnet und nichts widerlegt hätte.

19. Ehe sie jedoch gefoltert wird, wird sie vom Henker beiseite geführt und, damit sie sich nicht mit Zaubermittelchen gegen den Schmerz gefeit macht, nach solchen abgesucht, indem er ihr am ganzen Körper die Haare abschert und sie selbst dort, wo man ihr Geschlecht erkennen kann, schamlos beschaut — obschon man bisher noch niemals etwas Derartiges gefunden hat.

20. Freilich, warum sollte man das bei einem Weibe nicht tun? Es wird ja doch auch mit geweihten Priestern gemacht, und zwar auf Anordnung von Inquisitoren und geistlichen Beamten geistlicher Fürsten. Die deutschen Richter sehen ja die Blitze nicht für gefährlich an, die in der Abendmahlsbulle auf diejenigen geschleudert werden, die ohne besondere, ausdrückliche Genehmigung des Heiligen Stuhles Klerikern den Prozeß machen. Daß die frommen, dem römischen Stuhl gehorsamen Fürsten nichts davon erfahren und daraufhin die Prozesse einschränken, dafür treffen die Inquisitoren schon Vorsorge.

21. Hierauf, wenn Gaja in dieser Weise beguckt und geschoren ist, wird sie gefoltert, damit sie die Wahrheit kundtue, das heißt, damit sie sich schlechtweg für schuldig erklärt. Alles, was sie anderes sagt, ist nicht die Wahrheit, kann es nicht sein.

22. Jedoch wird sie nur mit dem ersten, das heißt leichteren, Grade der Tortur gefoltert. Das ist so zu verstehen, daß dieser freilich schon ganz fürchterlich ist, jedoch im Vergleich mit den anderen, folgenden Graden immer noch leichter ist. Darum behaupten und verbreiten die Richter, wenn Gaja gesteht, sie habe ohne Tortur gestanden.

23. Wer von den Fürsten und anderen Leuten sollte da, wenn er das hört, nicht glauben, Gaja sei ganz gewiß schuldig, weil sie sich so aus freien Stücken ohne Tortur schuldig bekannt hat?

24. So wird sie also nach diesem Geständnis ohne Bedenken hingerichtet. Freilich wird sie, auch wenn sie nichts gestanden hätte, nichtsdestoweniger hingerichtet werden. Denn wo erst einmal mit der Tortur der Anfang gemacht ist, da ist der Würfel bereits gefallen. Sie kann nicht mehr entkommen, muß sterben.

25. Und so gesteht sie oder sie gesteht nicht. In jedem Falle ist es um sie geschehen. Gesteht sie, dann ist es ja klar, sie wird selbstverständlich hingerichtet, wie schon gesagt. Alles Widerrufen ist umsonst; wir haben es oben geschildert. Gesteht sie nicht, so wird die Folter zwei, drei, vier Male wiederholt. Hier ist alles erlaubt, was man haben möchte: Es gibt ja bei einem Sonderverbrechen keinerlei Vorschrift über Dauer, Schärfe noch Wiederholung der Tortur. Die Richter sind sich hier keiner Schuld bewußt, die sie vor ihrem Gewissen zu verantworten hätten.

26. Ob dann die Gaja auf der Folter vor Schmerz die Augen verdreht oder sie starr auf einen Fleck heftet: Das sind neue Indizien. Verdreht sie die Augen, so heißt es: Seht ihr, wie sie ihren Buhlen sucht? Heftet sie sie starr auf einen Fleck, so sagt man: Schaut, sie hat ihn schon gefunden, sie sieht ihn bereits. Bricht sie jedoch trotz mehrmaliger Folterung immer noch nicht ihr Schweigen, verzerrt sie im Ankämpfen gegen die Schmerzen ihr Gesicht, erleidet sie eine Ohnmacht usw., dann schreien sie, sie lache, sie schlafe in der Tortur, sie gebrauche einen Schweigezauber und sei nun umso mehr schuldig, sie gehörte deshalb lebendig verbrannt zu werden. So ist es auch erst kürzlich einigen Angeklagten gegangen, die trotz mehrmaligen Folterns kein Geständnis hatten ablegen wollen.

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