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Ein Skeptiker betrachtet die Hexenverfolgung eingehender – Friedrich von Spee (1631)

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IX. Argument. Es zeigen die Strafprozesse, daß in der Mehrzahl der Fälle alle diejenigen, die von anderen denunziert worden sind, wirklich Hexen waren, da sie es hernach selbst auf der Folter eingestanden haben. Daraus folgt, daß die Denunzianten die Wahrheit gesprochen haben und man also den Denunziationen den Glauben nicht versagen darf.

Ich entgegne: Daß die Mehrzahl der Denunzierten wirklich Hexen gewesen sind, ist mit ihren späteren Geständnissen nicht genügend bewiesen. Es ist ja mehr als unstreitig, wie schwankend die durch die Tortur gewonnene Gewißheit ist, und nach dem oben von uns Vorgebrachten liegt es klar zutage. Wäre doch eine Denunzierte, die sich nicht schuldig bekennen wollte, eine Närrin, denn man wird sie mit endlosen Folterqualen zwingen, sodaß sie schließlich unterliegt, und wenn sie das nicht tut, dann wird man sie als verstockte Hexe lebendig verbrennen. Man erinnere sich, was oben hierzu gesagt worden ist. Sie wissen gewiß alle nicht, wie furchtbar die Gewalt der Folter ist, die in Ruhe und Muße ihren Hirngespinsten nachhängen und harten, grausamen Sinnes niemals eine Vorstellung gewonnen haben, was für Schmerzen die Folterwerkzeuge verursachen. Nicht aus böser Absicht, nur aus aufrichtigster christlicher Liebe zu ihrem eigenen Besten und zum Heil ihrer Seelen wünschte ich, es käme ihnen in den Sinn, nur für ein halbes Viertelstündchen die Folter ein wenig versuchen zu wollen und sozusagen einen Vorgeschmack von ihr zu bekommen, ehe sie sich daran machen, diese widerwärtigen Streitigkeiten über das Verhalten der Angeklagten auf der Folter zu erörtern. Ich will ja gar nicht so hartherzig sein, wie jener Fürst — ich weiß nicht, wer es war — gewesen sein soll, der jeden, den er zum Richter in Kriminalsachen machen wollte, vorher ungeachtet allen Sträubens eine halbe Stunde lang foltern ließ, damit er den Schmerz ein wenig gespürt hätte und seine Macht genauer kannte. Er meinte dadurch erreichen zu können, daß durch die nicht übermäßig ausgedehnte Folterung eines einzigen Menschen nicht bloß die Folterung, nein, auch die Tötung vieler anderer Menschen vermieden würde. Und deshalb war er der festen Überzeugung, er dürfe das mit gutem Gewissen zum Nutzen des Staates tun, und der Richter müsse aus demselben Grunde es dulden.

Ich will darüber kein Urteil abgeben; Gott gebe, daß wir ihn alle lieben und durch dies Zeitliche so hindurchgehen, daß wir das Ewige nicht verlieren. [ . . . ]

Argument X. [ . . . ] Ich erwidere II. Die Angeklagten, die andere anzeigen müssen, sind entweder wahrhaftige, wirkliche Hexen, oder sie sind es nicht, sondern sozusagen nur dem Namen nach Hexen, die nämlich unter dem Zwange der Tortur das Verbrechen auf sich genommen haben, dessen sie nicht schuldig waren. Sind es wirkliche Hexen, so bestreite ich den zweiten Teil des Syllogismus. Dann werden sie nämlich aus den vorher genannten Gründen mit aller Bereitwilligkeit gern und ungehindert Unschuldige anzeigen. Da nun aber die Angeklagten überall nur mit großer Mühe und mit Anwendung der Folter zur Anzeige gezwungen werden müssen, so möchte ich daraus vollends viel eher schließen, daß es demnach keine wirklichen sondern nur dem Namen nach Hexen sind. Ich wende nämlich überhaupt jenes Argument Goehausens folgendermaßen ins Gegenteil:

Würde man wirkliche Hexen zur Denunziation zwingen, so würden sie, wie der Gegner zugibt, zur Anzeige bereit sein, jedenfalls zur Anzeige Unschuldiger. Nun sind aber die Denunziantinnen nirgends bereit, auch nur irgend jemanden anzuzeigen, wie der Gegner gleichfalls zugeben wird. Folglich sind alle diejenigen, die allenthalben Denunziationen machen, keine wirklichen Hexen. Das ist ein ganz zwingender Schluß.

Daraus ergibt sich dann folgerichtig die Erklärung für das, was oben in jenem Argument gesagt wurde: „Darum nennen die Hexen auch nur bereits verstorbene Personen.“

Die Fürsten mögen bei dieser wichtigen Frage aufmerken, was ich zu sagen habe. Es steht damit nämlich folgendermaßen.

Die Mehrzahl aller unwissenden, sorglosen Richter, auch viele habsüchtige und niederträchtige, schreiten auf haltlose Indizien hin zur Festnahme und Folterung. Die Gewalt der Folterqualen schafft Hexen, die es gar nicht sind, weil sie es gleichwohl sein müssen. Sie müssen auch ihre Lehrmeisterinnen, Schülerinnen und Gefährten angeben, die sie doch nicht haben. Weil ihnen das Gewissensqualen bereitet, leisten sie solange Widerstand, bis sie durch die Folter oder die bloße Furcht vor ihr gezwungen werden. Da sie den Schmerzen nicht gewachsen sind, nennen sie schließlich solche Personen, bei denen es glaubwürdig erscheint und wo sie so wenig Schaden als möglich anrichten: Sie nennen, sage ich, solche, die bereits verstorben, als Hexen verbrannt worden sind. Drängt man sie weiter, so nennen sie noch am Leben befindliche Personen, und zwar zunächst solche, von denen sie früher gehört haben, daß sie verschrieen, auch von andern denunziert oder irgendwann einmal wegen Hexerei festgenommen worden seien usw. So ist es überall, und wenn ich nicht die Wahrheit spreche, dann

„Mag der allmächtige Vater mich mit dem Blitzstrahl erschlagen.“

Aber ich weiß, was ich sage, und woher ich es weiß, werde ich bei jenem letzten Gericht über die Lebendigen und die Toten diesen Obrigkeiten kundtun, die es hätten wissen sollen. Mit Recht rufen all diese Unschuldigen sie zu jenem Tage vor den Richterstuhl, und auch ich tue es.

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