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Bericht des amerikanischen Geheimdienstes über die Einstellungen der deutschen Bevölkerung in der US-Zone (12. August 1945)

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ANTISEMITISMUS. – Der latente Antisemitismus äußert sich bei allen Befragungen. Er scheint auch dort ein motivierendes Gefühl zu sein, wo sich der Befragte von allen nationalsozialistischen Sympathien frei wähnt. Besondere Bedeutung kommt der Beantwortung der Frage zu: „Glauben Sie, daß Deutschland auch dann den Krieg verloren hätte, wenn die Juden nicht verfolgt worden wären?“ Mehr oder weniger qualifiziert haben 64 Prozent der Befragten erklärt, die Judenverfolgungen seien „entscheidend“ dafür gewesen, daß Deutschland den Krieg verloren hat. Viele dieser Befragten äußerten sich überaus ablehnend gegenüber den anti-jüdischen Maßnahmen des Reiches. Dennoch ist ihnen antisemitisches Gedankengut insofern eigen, als sie von der „Macht“ des „Weltjudentums“ überzeugt sind.

POLITIK. – Bei mehr als 90 Prozent der Befragten zeigt sich eine politische Müdigkeit. Sie ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, daß die überwiegende Mehrheit der Deutschen überzeugt ist, Politik werde in Zukunft über die Köpfe der Deutschen hinweg gemacht werden. Dreiundsiebzig Prozent der Befragten glauben nicht an eine deutsche Selbstbestimmung innerhalb der nächsten fünfzehn Jahre. Auf die Frage: „Warum wollen Sie nichts von Politik wissen?“ antworteten 67 Prozent: „Weil Politik zum Krieg führt.“ Vielfach wird die Meinung vertreten, daß der wirtschaftliche Neubeginn „ohnedies keinen Sinn“ habe.

PRESSE. – Die „amerikanischen Zeitungen für die deutsche Bevölkerung“ sind populärer, als man annehmen möchte. Eine Befragung in Berlin ergab, daß 91 Prozent der Leser die „Allgemeine Zeitung“ für eine „anständige Zeitung“ halten. Im Widerspruch hierzu äußerten sich 66 Prozent zur Frage, ob die „amerikanischen Zeitungen die volle Wahrheit“ veröffentlichen, in negativem Sinne. Offenbar ist die Popularität unserer Zeitungen auf den Vergleich mit der nationalsozialistischen Presse zurückzuführen. Vierundachtzig Prozent der Befragten erklärten, die nationalsozialistische Presse habe „stets gelogen“, 15 Prozent meinten, sie habe „nicht immer“ die Wahrheit geschrieben, nur ein Prozent glaubte, die Hitler-Presse habe sich im wesentlichen an die Wahrheit gehalten. Die Frage nach der Aufmachung der amerikanischen Zeitungen wurde, je nach der Region, verschieden beantwortet. Im Durchschnitt ergibt sich, daß 59 Prozent der Leser die Aufmachung bejahen, 36 Prozent haben verschiedene Einwände – „zu sensationell“, „zuwenig Lesestoff“, „erhobener Zeigefinger“, „zuwenig Lokalnachrichten“ –, während 6 Prozent die journalistische Aufmachung ohne weitere Begründung ablehnen.



Quelle: Hans Habe, Im Jahre Null. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Presse (1966). München, 1977, S. 82 ff.; abgedruckt in Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1986, S. 372-73.

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