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Interview mit Louis Armstrong: „Sie kommen durch den Eisernen Vorhang, um amerikanischen Jazz zu hören” (Dezember 1955)

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Das gleiche ist in Roubaix, Frankreich passiert. Und in Lyon auch. Sie fingen an, Sachen nach der Lokalband zu werfen, als sie wieder auf die Bühne kamen und übernehmen wollten. Am nächsten Abend stellte der Besitzer die Bläser also in der Empore auf, damit sie nicht getroffen werden konnten. Aber die Leute haben uns nichts getan. Wir spielten drei Stunden lang in Lyon und die Leute klatschten von 1 bis 1.30 Uhr morgens.

Aber die Leute wollen uns nichts antun – daran habe ich nie gedacht. Das einzige Mal, dass sie mir wirklich Angst gemacht haben war an dem Abend, als wir in Düsseldorf spielten. Nach dem letzten Konzert waren hinter der Bühne alle gegangen außer der Sängerin und mir selbst und einem alten Mann. Er wollte das Licht ausmachen, wenn wir gehen, und wir verabschiedeten uns und in der Minute, als er die Tür schloss, kamen 30 deutsche Jazzfans auf uns zu und riefen „Autogramm, Autogramm!“ Ich hatte keine Ahnung, wo die alle herkamen – ich habe mich zu Tode erschreckt. [ . . . ]

F: Ist Ihr Publikum hier ernsthafter als in den USA?

A: Ja, das ist es. Ich hörte von zwei Mädchen, die gerade heute Abend backstage kamen, um mein Autogramm zu bekommen. Die eine war ein amerikanisches Mädchen, das hier zur Schule geht und die andere war ein deutsches Mädchen, die mich in Mannheim spielen gehört hatte. Jemand fragte sie nach dem Publikum draußen – ob es wie ein Publikum in den Staaten sei. Das amerikanische Mädchen sagte, „Nein, die sind anders. Diese Leute nehmen Jazz sehr ernst.“ Das stimmt, sie hüpfen nicht herum wie die Backfische. Sie hören Jazz auf die gleiche Weise, wie sie klassische Musik hören. Sie machen eine Wissenschaft daraus.

In Turin, Italien, war so ein kleiner Stinker im Publikum, oben auf dem Balkon – dem nicht klar war, dass die italienischen Fans dort waren, um tatsächlich zuzuhören. Wir spielten „Sleepy Time“ und er faltete ein kleines Papierflugzeug und warf es runter, und er muss sehr gut gewesen sein, denn es landete genau auf der Bühne. Und ungefähr 15 Italiener schnappten ihn. Ich wusste nicht, wer er war, aber sie schnappten ihn und sagten, „Noch einmal und wir bringen dich um.“

F: Liegt das daran, dass Sie ein berühmter Künstler sind?

A: Nein. Es liegt daran, dass ich etwas spiele, dass sie hören wollen.

F: Ist es für Künstler besser in Europa, wo man zuhört statt mitzumachen, zu klatschen und so weiter?

A: Wozu soll man spielen, wenn sie eine Menge Lärm machen? Nehmen Sie eine Big Band, die voller Jive ist, die wollen das. Vor Jahren zum Beispiel war es den Leuten egal, was für eine Band spielte, die Leute machten sowieso Lärm. Aber heutzutage gehen sie, sobald sie zu einer Tanzveranstaltung kommen, direkt zur Bühne vor und stehen dort. Du spielst trotzdem ein Konzert. So läuft das heute. Sie nehmen sich Stühle, setzen sich hin und hören zu. Vor einigen Jahren war das alles egal.

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