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Für und wider den Jazz: Joachim-Ernst Behrendt und Theodor W. Adorno (1953)

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In einer Musik, die improvisiert und nicht komponiert ist, müssen die Themen schließlich irgendwoher kommen. Die Frage ergibt sich: woher? Nähmen die Jazz-Musiker sie von der Konzertmusik, würde Adorno als erster protestieren. Und also nehmen die Jazz-Musiker sie vom Schlager. Aber siehe da, auch hier protestiert er. An dieser Stelle wird die Art seiner Dialektik deutlich. Das zeigt sich wiederholt: ist die Jazz-Musik Ausdruck der Freiheit, wird sie zum „Gestus der Rebellion“; ist sie Ausdruck der Einordnung, wird sie „blindes Parieren“; ist sie beides, muß der „sadomasochistische Typus“ herhalten, „der gegen die Vaterfigur aufmuckt und dennoch insgeheim sie bewundert ...“

Adorno leugnet freilich den Improvisationscharakter des Jazz schlechthin. Ja, weiß er denn nicht, daß kaum einer der großen Jazz-Musiker zweimal das gleiche Solo gespielt hat? Es gibt Aufnahmen von Louis Armstrong aus den zwanziger oder von Charlie Parker aus den vierziger Jahren, die am gleichen Tage wegen irgendwelcher technischer Fehler mehrfach hintereinander wiederholt werden mußten und die dann später sämtlich auf dem Plattenmarkt erschienen: da zeigte sich dann, daß keiner der Musiker in den verschiedenen hintereinander gemachten Improvisationen über das gleiche Thema zweimal auch nur einen Takt lang das gleiche gespielt hatte. Wo gibt es denn das im echten Jazz: „sorgfältig, mit maschineller Präzision einstudiert“? Ich möchte ein einziges namentliches Beispiel hören.

Überhaupt: wo sind die Beispiele? Da wird den „Fanatikern“ des Jazz vorgeworfen, daß sie „kaum fähig“ seien, „in präzisen, technisch-musikalischen Begriffen Rechenschaft“ zu geben – aber wo sind denn diese Begriffe in dem Aufsatz Adornos? Der Hinweis auf die „gewitzigten Halbwüchsigen in Amerika“ an einer Stelle, wo man einen eindeutigen Beweis dafür erwartet, daß es keine Improvisation mehr im Jazz gäbe: – „das sind Flausen“.

Ausgesprochen mephistophelisch ist schließlich der Hinweis auf die Parallelität von Jazz und Diktatur. In Mitteldeutschland leben nun zum zweiten Mal innerhalb von 15 Jahren Menschen in einer ständigen Bedrohung ihrer Existenz, einzig und allein, weil sie gern Jazz hören oder spielen, und da kommt Adorno und meint, es würde hieraus kurzerhand das Gegenteil, weil er das Gegenteil behauptet? Ist es denn um seinen musikalischen „Nerv“ so schlecht bestellt, daß er nicht bei jedem Jazz-Takt hört, wie absolut sicher diese Musik gegen jeden Totalitarismus „impft“? Hat man schon einmal einen Funktionär oder Militaristen gesehen, der gleichzeitig Jazz-Fan gewesen wäre? Woher kommt denn die tiefe, eingewurzelte Abneigung aller Militärs gegen den Jazz? Es gibt sie nicht nur in Europa. Es hat sie schon in den Entstehungsjahren des Jazz gegeben, als Amerika in den ersten Weltkrieg eintrat und die damalige Hauptstadt des Jazz – New Orleans – zum Kriegshafen der amerikanischen Marine erklärt wurde. Solchen Fakten gegenüber ist der Hinweis, daß die Jazz-Kapelle „nicht umsonst von der Militärmusik abstammt“, ein billiger Trick. Die Besetzung einer Jazzband stammt deshalb von der Marsch-Besetzung ab, weil die Neger Nordamerikas nicht sahen, daß es in der „weißen“ Musik überhaupt eine andere Art der Besetzung gibt. Die Träger der weißen Musik nämlich haben es seit je für ihre vornehmste Aufgabe gehalten, fremde Völker mit ihrer Kultur auf dem Wege der Militärmusik bekannt zu machen. Ich möchte nicht mißverstanden sein: dies soll keine Hymne auf den Jazz sein. Man kann dafür und dagegen sein. Nur sollte man von ihm nicht als von einer Sache sprechen, „an der es nichts zu verstehen gibt ...“ Warum nämlich spricht man dann überhaupt?

Joachim-Ernst Berendt

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