GHDI logo

Die Notlage des alten Glaubens – Peter Canisius an Giovanni Kardinal Morone (1576)

Seite 3 von 6    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


9. So viele verfallen Zensuren und dem Apostolischen Stuhle vorbehaltenen Strafen, daß man dies kaum mehr für eine läßliche Sünde hält. Da es sehr schwer ist, diese dazu zu bringen, vom Apostolischen Stuhl – man hat oft direkt einen Schrecken vor ihm oder man will gar nicht mehr mit ihm in Verbindung treten – die Absolution oder Dispens zu erbitten, scheinen zwei Hilfsmittel notwendig, um den Seelen vieler, die das Joch des Gehorsams noch nicht ganz abgeschüttelt haben, zu helfen. Zunächst sollen die päpstlichen Nuntien beim Kaiser sich in den Kontroversfragen auskennen, mehr als nur mittelmäßig die lateinische Sprache beherrschen, klug, milde und eifrig sein und von tadellosem Lebenswandel und ohne jeden Anschein von Habsucht. Ihnen sollen weitgehende Vollmachten für die Absolution und zur Gewährung von Dispensen erteilt werden, und sie sollen auch befugt sein, diese Vollmachten anderen zu übertragen. Zweitens, weil es schwer und beinahe unmöglich ist, die Leute hier dazu zu bringen, daß sie sich, wenn schon nicht nach Rom, so doch an den Apostolischen Nuntius wenden, müßte der Papst in verschiedenen Gegenden Deutschlands einige bewährte und gelehrte Männer als Vertreter haben, denen er ebenfalls weitgehende Vollmachten erteilen sollte. Denn den Bischöfen, die an einer nicht zu überbietenden Unwissenheit in all diesen Fragen leiden, die Vollmachten zu geben, hieße nicht dispensieren, sondern Gnaden vergeuden.

10. Nicht leicht kann einer den elenden Zustand Deutschlands und seine Notlage überschauen und verstehen, wenn er sie nicht mit eigenen Augen gesehen und aus Erfahrung sie kennengelernt hat. Deshalb wäre es nützlich, um viele Fragen richtig zu entscheiden und die deutschen Angelegenheiten beim Apostolischen Stuhl rascher und leichter abzuwickeln, wenn der Papst aus dem Kardinalskollegium einen, der sich in den Verhältnissen Deutschlands auskennt, als Sekretär für die Angelegenheiten der nördlichen Länder bestimmte. An diesen sollten dann die Nuntien und andere schreiben und sich an diesen wenden und so eine schnellere Erledigung der Geschäfte erlangen, damit sie nicht so lange auf Antwort vom Staatssekretär, der sonst schon genug Arbeit hat, warten müssen.


Anhang zum Brief vom Sommer 1576 an Giovanni Kardinal Morone.

Der Heilige Vater, dem Deutschland so viel verdankt, wird sich offensichtlich um Deutschland noch mehr verdient machen, wenn er weiterhin – wie ich oben schon ausführte – wenigstens drei Apostolische Nuntien dort beläßt. Diese können sicher viel dazu helfen, daß die durchweg schlafmützigen Bischöfe aus ihrem tiefen Schlaf aufgeweckt und die katholischen Fürsten in ihrer Glaubenstreue bestärkt werden. Allerdings sähen es die deutschen Bischöfe und Fürsten gerne, wenn öfters Nuntien aus ihrem eigenen Land zu ihnen entsandt würden; denn einerseits würden sie lieber in deutscher als in lateinischer Sprache sich mit ihnen besprechen und ihre Meinung äußern – viele können nämlich kaum mehr lateinisch reden – und andererseits schenken sie gewöhnlich andern Nationalitäten weniger Vertrauen. Vielleicht könnte es mit der Zeit möglich gemacht werden, daß wenigstens „geheime Nuntien“, die Deutsche sind, die Fürsten und Bischöfe aufsuchen oder als Berater den andern Nuntien beigegeben werden.

Meines Erachtens muß man das Hauptaugenmerk darauf richten, daß die schweren Mißstände abgestellt werden, die von den Kathedralkirchen ausgehen und den ganzen deutschen Klerus anstecken. Wenn diese Ursache so vieler Mißstände nicht behoben wird, besteht keinerlei Hoffnung mehr, in Deutschland gute Bischöfe und Prälaten zu finden, die man ja jetzt aus dem ganz verkommenen Adel nehmen muß.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite