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Die Apokalypse vor Ort – Die Zerstörung Magdeburgs (1631)

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Also hat man diese weitberühmte, vornehme Stadt und Zierde des ganzen Landes in einem Tage in Feuer und Rauch aufgehen und ihre übrig gebliebenen Einwohner mit Weib und Kindern gefangen vor dem Feinde hintreiben gesehen, daß das Geschrei, Weinen und Heulen gar weit ist gehört und die Lohe und Asche von der Stadt bis in Wanzleben, Egeln und weitere Orte durch den Wind verführet worden. [ . . . ]

Mit den Weibern, Jungfrauen, Töchtern und Mägden aber die keine Männer, Eltern oder Verwandten gehabt, so ihrenthalber Ranzion erlegen, noch bei hohen Officieren Hilfe oder Rath suchen können, ist es mit vielen fast übel abgelaufen, sind theils genothzüchtigt und geschändet, theils zu Concubinen behalten worden. [ . . . ]

Belangend die Anzahl der Erschlagenen und Umgekommenen in der Stadt, weil nicht allein das Schwert, sondern auch das Feuer viel Menschen aufgefressen, kann man dieselbe nicht eigentlich wissen, denn nicht allein bald nach dieser erbärmlichen Einäscherung der General Tilly (4) die verbrannten Leichname und sonst Erschlagenen von den Gassen, Wällen und andern Plätzen auf Wagen laden und in’s Wasser der Elbe fahren lassen, sondern man hat auch fast ein ganzes Jahr lang nach der Zeit in den verfallenen Kellern viel todte Körper zu 5, 6, 8, 10 und mehr, die darin erstickt und befallen gewesen, gefunden und weil die, so auf den Gassen gelegen, sehr vom Feuer verzehrt und von den einfallenden Gebäuden zerschmettert gewesen, also daß man oft die Stücken mit Mistgabeln aufladen müssen, wird Niemand die eigentliche Summam benennen können. Insgemein aber hält man dafür, daß mit eingeschlossen die beiden Vorstädte und was von der kaiserlichen Soldatesque – als von denen nicht allein im Sturm hin und wieder viel geblieben, sondern sich auch mancher verspätet, im Keller oder Hause zu lange gesucht oder sonst verirrt gehabt – umgekommen und verbrannt, es auf 20 000 Menschen, klein und groß, gewesen, die bei solchem grausamen Zustande ihr Leben enden oder sonst am Leibe Schaden leiden müssen. Die abgestorbenen Leichname, so vor das Wasserthor hinaus in die Elbe geführt worden, haben, weil an dem Orte alle Wege ein Kräusel oder Wirbel ist, nicht bald hinwegfließen können oder wollen, also daß viele da lange herumgeschwommen, die theils die Köpfe aus dem Wasser gehabt, theils die Hände gleichsam gen Himmel gereckt und dem Anschauer ein fast grausam Spectakel gegeben haben, davon denn viel Geschwätzes gemacht worden, gleich als hätten solche todte Leute noch gebetet, gesungen und zu Gott um Rache geschrieen, wie denn ebenermaßen man von vielen Gesichtern, Gespenstern und dergleichen Dingen zwar sagen, aber von Niemand im Grunde der Wahrheit bejahet werden wollen.



(4) Johann Tserclaes Graf von Tilly (1559–1632), Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen.



Quelle: Friedrich Wilhelm Hoffmann, Geschichte der Belagerung, Eroberung und Zerstörung Magdeburg’s von Otto von Guericke, Churfürstlich-Brandenburgischem Rath und Bürgermeister besagter Stadt. Magdeburg: Baensch, 1860, S. 82-87; abgedruckt in Bernd Roeck, Hg., Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg 1555-1648. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, herausgegeben von Rainer A. Müller, Band 4. Stuttgart: P. Reclam, 1996, S. 296-301.

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