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Aufsicht über die protestantischen Kirchen – Visitations- und Schulordnung aus der Kurpfalz (1556)

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Zu isem allem ist nötig, das der schulmeister selbs ein gewiser grammaticus sey. Dann, was einer selbs nit gelernet hat, darzu hat er nit lust und helt die jungen nit darzu. Er soll auch selbs mit den schulern lateinisch reden und die schuler dahin halten, das sie undereinander lateinisch reden.

Alle wochen sollen die knaben aus dem dritten haufen am Sonnabendt lateinische schriften dem schulmeister überantworten, episteln oder historien oder vers. Und soll der schulmeister den knaben zu teutsch etliche schöne historien dictiern, die sie hernach die wochen lateinisch machen, als von Joseph, von Sambson, von David, vom verlornen son [Lk. 15,11–32] und aus andern büchern, von Ulysse und Polyphemo, von Hercule und Omphale, von Cyro, von Cambyse und dem gestraften richter, deß haudt Cambyses auf den richterstuel spannen ließ, von Mida, der nicht recht urteilt zwischen Apolline und Pan und wurden ihme seine ohren zu eselsohren verwandelt, und andere nutzliche gedicht, darin zugleich die jungen die sprüch üben und historien lernen und vil erinnerung von tugent mercken mögen, und sollen die schulmeister fleiß thun, das sie inen selbs vorrhat schaffen solcher historien und gedicht.

Und so die jungen ire schriften überantwort haben, soll der schulmeister inen anzeigen, wo etwas unrecht ist, und die unrechten wörter und constructiones bessern.

Wo in stetten der jungen so vil ist, das man den vierdten haufen machen kan auß solchen knaben, welche nun gewiß sind in etymologia und syntaxi, disen soll man dieselbigen stund regulas dialectices lassen recitiern. Die soll der schulmeister mit leichten, nutzlichen exempeln erkleren. Hernach soll man inen fürgeben initia rhetoricae.

Dise soll man auch die wochen ein stund lassen regulas graecae grammaticae recitiern. Item, den andern tag soll man ein stund zum Phocilide (14) und hernach zum Hesiodo (15) und Isocrate (16) ad Demonicum nemen.

Und soll der schulmeister bey der grammatica bißweilen ein nutzlichen spruch den knaben fürschreiben, das inen etliche wörter bekhant und gemein werden und das sie zugleich die buchstaben recht formirn lernen. Und sollen die schulmeister fleiß thun, das sie selbs auch rechte buchstaben machen [ . . . ]. Wie dann dieselbig sprach [Griechisch] seer reich ist von allerley schönen sprüchen. Und ist nutzlich, das die jugent von kindheit bald solcher reden vil hören und mercken. Dann es sind gemeine reglen des lebens, die hernach zur tugent erinnerung sind. Und ist ein zier, so die sachen, darvon wir reden, auf solche sprüch bequem gezogen werden. Auch helfen sie den jungen im schreiben zur invention und, ordenlicher und zierlicher ire materien zu machen.

Wo teutsche schul sind, mögen die obbemelten artickel vor der schulordnung erzelt, doch mutatis mutandis dem schulmeister auch auferlegt werden.

[Nota.] Wo schulen teutsch oder lateinisch sind, sollen die pfarrer desselben orts schuldig sein, die schul in einem monat aufs allerwenigst einmal zu visitiern.

Finis.



Quelle: (A) Generallandesarchiv Karlsruhe, 77/4277, fols. 224-51; abgedruckt in Bernd Roeck, Hg., Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg 1555-1648. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, herausgegeben von Rainer A. Müller, Band 4. Stuttgart: P. Reclam, 1996, S. 33-39; (B) Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, herausgegeben von Emil Sehling. Bd. 14: Kurpfalz. Aalen: Scientia-Verlag, 1969, S. 225-29; abgedruckt in Bernd Roeck, Hg., Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg 1555-1648. Stuttgart: P. Reclam, 1996, S. 39-47.

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