GHDI logo

Aufsicht über die protestantischen Kirchen – Visitations- und Schulordnung aus der Kurpfalz (1556)

Seite 5 von 7    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Ordnung der schulen

Erstlich sollen die kinder ordenlich in drey oder vier heuflein nach gelegenheit geteilt werden.

Das erst heuflin sind die jüngsten, die anfahen, die buchstaben zu khennen, und lernen lesen. Die sollen erstlich die gewonliche handtbüchlein lernen, darin das alphabet, oratio dominica (1), symbolum (2), decalogus zusammengedruckt sein, und sollen im anfang den kindern nit andere bücher fürgeben werden.

Hernach soll man in den Donat (3) und Caton (4) zusammen fürgeben, also das der schulmeister täglich einen oder zween verß exponiern, welche die kinder hernacher zu einer andern stund aufsagen, das sie also anfahen, etliche lateinische wörter zu khennen, und vorrat schaffen, die lateinische sprach zu reden. Und ist nutzlich, das sie den Donat und Caton nicht allein einmal lesen, sonder auch das ander mal.

Darbey soll man sie lernen schreiben und ernstlich darzu halten, das sie teglich ire schrift dem schulmeister weisen.

Item, damit sie dester mehr lateinischer wort lernen, soll man inen teglich am abendt zwey lateinische wörter zu lernen fürgeben, die sie behalten und morgens dem schulmeister aufsagen sollen. Und sollen sie in besondere büchlein schreiben oder schreiben lassen, als Deus, Gott, coelum, himel.

Dise kinder sollen auch zur musica gehalten werden und mit den andern singen, wie hernach angezeigt wirdt.

Das ander heuflin sind kinder, die nun im lesen gewiß sind und die regulas grammatice anfahen.

Teglich soll man die erste stund nachmittag alle knaben in der musica üben. Hernach soll man disem heuflin, das lesen kan, welches mag genennet werden secunda classis, die zween tag Montag und Dinstag fabulas Aesopi exponiern, welche Joachimus Camerarius (5) lateinisch gemacht hat. Und soll der schulmeister nach gelegenheit der knaben wehlen, welche er wil. Mag auch etliche liebliche colloquia Erasmi (6) lesen und Erasmi büchlin: De civilitate morum (7) und das büchlin Joachimi Camerarii, welchs titel ist Praecepta morum (8). Aber Aesopus soll nicht gantz aus der schul kommen.

Den Donnerstag und Freytag soll man disem heuflin Terentium (9) exponiern. Den sollen die knaben von wort zu wort außwendig lernen. Darumb soll man nit vil auf einmal fürgeben.

Am Abend soll man disen knaben, so sie zu hauß gehen, einen nutzlichen spruch fürschreiben und exponiern, den sie auch alßbald in ein besonder büchlin schreiben und daheim lernen exponiern und gedencken, das sie in morgens aufsagen, als: Timor Domini initium sapientiae [Ps. 111,10], Omnibus in rebus modus est pulcherrima virtus und dergleichen.

Morgens früe sollen dise knaben, sovil die in Aesopo oder Terentio gehört haben, widerumb aufsagen. Und soll der preceptor etliche nomina decliniern lassen und verba conjugiern nach gelegenheit der kinder, vil oder wenig. Und soll die reglen de generibus, casibus, preateritis und supinis fleissig fordern.



(1) ›Gebet des Herrn‹, Vaterunser.
(2) Glaubensbekenntnis.
(3) Aelius Donatus, römischer Grammatiklehrer des 4. Jh.s n. Chr.
(4) Dicta Catonis, Handbüchlein der Vulgärethik in Versen, entstanden im 3. Jh. n. Chr., in zahlreichen Bearbeitungen als Schulbuch verbreitet.
(5) Joachim Camerarius (1500–74), Philologe, Übersetzer; Verfasser pädagogischer, theologischer, poetischer und historischer Werke.
(6) Desiderius Erasmus von Rotterdam (1466 oder 1469–1536).
(7) Das höchst erfolgreiche Werk des Erasmus zur Kindererziehung (1530).
(8) Praecepta morum ac vitae, Leipzig 1544, allein im 16. Jh. mindestens zehn weitere Auflagen.
(9) Publius Terentius Afer, römischer Komödiendichter (185–159 v. Chr.).

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite