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Das Reich und dessen Reformation – Eine Denkschrift Lazarus von Schwendis an Kaiser Maximilian II. (15. Mai 1574)

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Der Adel ist fast durchaus im Reich unter katholischen und lutherischen Obrigkeiten der geenderten Religion zugethan, und wo sie es nit öffentlich sein dörffen, so sind sie es doch heimlich, in gemüthern, oder ist schon eintheil der römischen Religion noch anhengig, so ist es doch ein kalt, halb Werk und wenig Eyfers dahinden. Die Alten, so noch mit Andacht und Eyfer dahin geneigt, die sterben täglich hinweg. Die Jugent aber kann man nicht also zügeln, sondern da man schon vleiss dabey thuet, so wils doch bei diesen Zeiten und Exempeln und Gemeinschaften nit helfen.

Zu dem so reisst solche verenderung unter den Geistlichen selbst ebensowohl ein, also findt sich auf den Stiften an mehrer Orten, das ein guter Theil der Domherren der augspurgischen Confession heimlich zugethan sein und dass die Anderen auch je lenger je mehr neutral und kalt werden, und dass sich schier Niemand unter ihnen umb seinen Beruff und den geistlichen Stand annehmen will, sondern ist das meiste umb die Niessung der feisten Pfründen und das gut müssig Leben zu thun.

So ist solches mit dem gemeinen Manne fast durchaus also, daß er von dem alten Thun und Ceremonien der römischen Geistlichkeit nit mehr helt, dann so weit er von seiner Obrigkeit darzu angehalten wirdt, und sieht man fast überall, wann die Predigt aus ist, dass das Volk aus der Kirche lauft, item, dass vast überall, auch in den catholischen orthen, die Leut ihr sondere evangelische Bücher haben, darin sie zu haus lesen, und einander selbst predigen und lehren, item, so findet man aus Erfahrung, da man schon die geenderte Religion wieder abgestellet und die catholische angerichtet, als zu Costnitz und anders mehr, dass man doch auch durch sonder fleissig zuthun der Geistlichen in so langen Jahren die Gemüther nit wieder gewinnen und der römischen Religion anhengig machen kann.

So hat auch solches bisher weder im Niederlandt noch in Frankreich kein Gewalt, obsieg, Straff noch Tyranney zuwege bringen, und da man sich schon ein Zeit lang drücke und leide, so brennen doch inwendig die Gemüther und warten und hoffen auf ein besere Zeit und Gelegenheit und wöllen eher das eusserste darüber zusetzen.

[Rom erweise sich als unfähig zur Reform. Der Heilige Stuhl gehe so weit,]

dass er so gar dem armen gemeinen Mann, die christlichen Gebet und die Bücher des Evangely und Gottes wort in seiner Sprache, an denen Orten, da er Gewalt und Obhandt haben mag nit will zulassen, sondern unterstehet ihm, bey Verlust des Lebens und des guts dahin zu dringen und zu zwingen, dass er seinen lieben Gott in einer frembden Sprache muss anbeten, und weiss nit was er bittet und vermeint also nochmals die Religion allein durch Unwissenheit und mit eusserlicher Andacht, Zucht und Ceremonien zu erhalten und wieder zu bringen, da doch die Grundfeste unsers christlichen Glaubens und Heils nit auf eusserlichem schein und Kirchendisciplin, sondern auf der Erkenntnis und Vertrauen an Gott stehet, und Christus selbst und seine Apostel und ihre Nachfolger die Gebet und das Wort Gottes in gemeiner Sprache allen Völkern verkündigt und gelehrt haben.

Darumb sichs denn abermals bei jetziger Welt destomehr ergern und stossen wirdt, und lesst sich desto mehr ansehen und muthmassen, dass die vorstehende Verenderung nit am Ende, sondern noch künftiglich wie in den vergangenen Jahren, fortschreiten und wirken werde, und dass Gottes heimlich Urtheil, Straff und Vorsehung mit fürlauffe.

[Der Verfall des Ansehens der Franziskaner und anderer Orden, des Ablasses, der Wallfahrten und anderer Einrichtungen zeige den Vertrauensverlust, den das »römische alte Wesen« im vergangenen halben Jahrhundert erlitten habe. Es scheine unmöglich, zum Status quo ante zurückzukehren. Nicht einmal die Geistlichkeit trage das Ihre dazu bei; Karl V. und Ferdinand I. hätten bereits diese Erfahrung gemacht.]

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