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Das Gesicht des Krieges – H. J. C. Grimmelshausens Der abentheuerliche Simplicissimus (1669)

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DAS VIERZEHNTE KAPITEL

Simplex erzählt mit Entsetzen und Grausen,
Wie die Soldaten mit fünf Bauren hausen.

DAMIT ich aber diesem meinem Entschluß nachkommen und ein rechter Waldbruder sein möchte, zog ich meines Einsiedlers hinterlassen härin Hembd an und gürtete seine Kette darüber; nicht zwar, als hätte ich sie bedörft, mein unbändig Fleisch zu mortifizieren, sondern damit ich meinem Vorfahren sowohl im Leben als im Habit gleichen, mich auch durch solche Kleidung desto besser vor der rauhen Winterskälte beschützen möchte.

Den andern Tag, nachdem obgemeldtes Dorf geplündert und verbrannt worden, als ich eben in meiner Hütte saß und zugleich neben dem Gebet gelbe Rüben zu meinem Aufenthalt im Feuer briet, umringten mich bei 40 oder 50 Musketierer; diese, obzwar sie ob meiner Person Seltsamkeit erstauneten, so durchstürmten sie doch meine Hütte, durchstankerten alles auf das genaueste und suchten, was da nicht zu finden war; dann nichts als Bücher hatte ich, die sie mir durcheinander geworfen, weil sie ihnen nichts taugten. Endlich, als sie mich besser betrachteten und an meinen Federn sahen, was vor einen schlechten Vogel sie gefangen hätten, konnten sie leicht die Rechnung machen, daß bei mir eine schlechte Beute zu hoffen. Demnach verwunderten sie sich über mein hartes und sehr strenges Leben und hatten mit meiner zarten Jugend ein großes Mitleiden, sonderlich der Offizierer, so sie kommandierte; ja er ehrte mich und begehrte gleichsam bittend, ich wollte ihm und den Seinigen den Weg wieder aus dem Wald weisen, in welchem sie schon lang in der Irre herumgangen wären. Ich widerte mich ganz nicht, sondern, damit ich dieser unfreundlichen Gäste nur desto eher wieder los werden möchte, führte sie den nächsten Weg gegen dem Dorf zu, allwo der obgemeldte Pfarrer so übel traktiert worden, dieweil ich sonst keinen andern Weg wußte. Eh wir aber vor den Wald kamen, sahen wir ungefähr einen Bauren oder zehen, deren ein Teil mit Feurrohren bewehrt, die übrigen aber geschäftig waren, etwas einzugraben. Die Musketierer giengen auf sie los und schrien: »Halt, halt!« Jene aber antworteten mit Rohren. Und wie sie sahen, daß sie von den Soldaten übermannet waren, lief einer da, der ander dort hinaus, also, daß die müden Musketier keinen von ihnen ereilen konnten. Derowegen wollten sie wieder herausgraben, was die Bauren eingescharret. Das schickte sich um so viel desto besser, weil sie die Hauen und Schaufeln, so sie gebraucht, liegen ließen. Sie hatten aber wenig Streiche getan, da höreten sie eine Stimme von unten herauf, die sagte: »O ihr leichtfertige Schelmen! O ihr Erzböswichter! O ihr verfluchte Lauren, vermeinet ihr wohl, daß der Himmel eure unchristliche Grausamkeit und Bubenstücke ungestraft hingehen lassen werde? Nein, es lebet noch mancher redlicher Kerl, durch welche eure Unmenschlichkeit dermaßen vergolten werden soll, daß euch keiner von euren Nebenmenschen mehr den Hindern lecken dörfe.« Hierüber sahen die Soldaten einander an, weil sie nicht wußten, was sie tun sollten. Etliche vermeinten, sie hörten ein Gespenst; ich aber gedachte, es träume mir. Ihr Offizier hieß tapfer zu graben. Sie kamen gleich auf ein Faß, schlugens auf und fanden einen Kerl darin, der weder Nasen noch Ohren mehr hatte und gleichwohl noch lebte. Sobald sich derselbe ein wenig ermunterte und vom Haufen etliche kannte, erzählete er, was maßen die Bauren den vorigen Tag, als einzige seines Regiments auf Fütterung gewesen, ihrer sechs gefangen bekommen, davon sie allererst vor einer Stund fünfe, so hintereinander stehen müssen, totgeschossen; und weil die Kugel ihn, weil er der sechste und letzte gewesen, nicht erlanget, indem sie schon zuvor durch fünf Körper gedrungen, hätten sie ihm Nasen und Ohren abgeschnitten, zuvor aber gezwungen, daß er ihrer fünfen den Hindern lecken müssen. Als er sich nun von den ehr- und gottesvergessenen Schelmen so gar geschmähet gesehen, hätte er ihnen, wiewohl sie ihn mit dem Leben davonlassen wollten, die allerunnützesten Worte gegeben, die er erdenken mögen, und sie alle drei bei ihrem rechten Namen genennet, der Hoffnung, es würde ihm etwan einer aus Ungedult eine Kugel schenken. Aber vergebens; sondern, nachdem er sie verbittert gemacht, hätten sie ihn in gegenwärtig Faß gesteckt und also lebendig begraben, sprechend, weil er des Todes so eiferig begehre, wollten sie ihm zum Possen hierin nicht willfahren.

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