GHDI logo

Martin Luthers „Turmerlebnis” (1545)

Seite 2 von 6    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Alsbald schrieb ich zwei Briefe: einen an den Mainzer Erzbischof Albrecht, der die Hälfte der Ablaßgelder bekam – die andere Hälfte erhielt der Papst, was ich damals nicht wußte; den anderen Brief an meinen Ordinarius loci, wie man dies nennt, den ortszuständigen Bischof Hieronymus von Brandenburg. Ich bat, sie möchten das schamlose und gotteslästerliche Treiben der Steuereinzieher in die Schranken weisen; doch der arme Mönchsbruder fand nur Verachtung. Ich, keiner Beachtung gewürdigt, gab ein Disputationsplakat* und gleichzeitig eine deutsche Predigt über den Ablaß heraus, und bald danach auch Erläuterungen dazu in denen ich um der Ehre des Papstes willen darauf hinwirken wollte, daß der Ablaß zwar nicht verworfen werde, gute Werke der Nächstenliebe ihm jedoch vorzuziehen seien.

Das hieß allerdings, den Himmel zum Einsturz bringen und die Welt in Flammen aufgehen lassen! Ich werde beim Papst angeklagt, meine Vorladung nach Rom wird mir zugestellt, und das ganze Papsttum erhebt sich wider mich einzelnen Mann. Diese Dinge tragen sich im Jahre 1518 zu, während Maximilians Reichstag zu Augsburg abgehalten wurde, auf dem als Legat seitens des Papstes Kardinal Cajetan tätig war. An ihn trat der erlauchteste Herzog von Sachsen Friedrich, Kurfürst, in meiner Sache heran und setzte es durch, daß ich nicht gezwungen werden sollte, nach Rom zu gehen. Vielmehr solle er selbst mich vorladen, meine Angelegenheit untersuchen und beilegen. Bald darauf wurde der Reichstag verabschiedet.

Mittlerweile, weil alle Deutschen es müde geworden waren, die Ausplünderungen, den Schacher und die unzähligen Betrügereien der romhörigen Windbeutel zu ertragen, warteten sie mit gespannter Aufmerksamkeit auf den Ausgang einer so wichtigen Angelegenheit, die zuvor weder ein Bischof noch ein Theologe anzurühren gewagt hatte. Und überhaupt kam mir die Volksstimmung sehr zugute, weil jene Kunstkniffe und echt römischen Umtriebe nunmehr allen verhaßt waren, mit denen sie den ganzen Erdkreis bis zum Überdruß angefüllt hatten.

So kam ich zu Fuß und als armer Mann nach Augsburg, versehen mit Reisegeld und mit Empfehlungsschreiben des Fürsten Friedrich an den Rat und an einige treffliche Männer. Drei Tage hielt ich mich dort auf, ehe ich zum Kardinal ging. Denn jene redlichen Männer hielten mich ab und widerrieten mir aufs nachdrücklichste, ja nicht ohne sichere Geleitzusage des Kaisers zum Kardinal zu gehen, obwohl mich dieser täglich durch einen Verbindungsmann vorlud. Der wurde mir schon reichlich lästig: Ich solle nur widerrufen, dann sei alles in Ordnung. Jedoch lange wie das Unrecht währen auch die Winkelzüge.

Schließlich kam er am dritten Tag und verlangte Auskunft darüber, warum ich nicht zum Kardinal gehe, der mich gütigst erwarte. Ich antwortete, ich hätte den Ratschlägen der edlen Männer zu folgen, denen ich vom Fürsten Friedrich anbefohlen sei. Ihr Rat sei es aber, ich solle keinesfalls ohne den Schutz des Kaisers oder ohne öffentliche Geleitzusage zum Kardinal gehen. Wenn dies gewährt sei – sie verhandelten mit dem kaiserlichen Rat, um es zu erreichen –, würde ich alsbald kommen. Der erwiderte erregt: »Was«, sagte er, »du meinst wohl, Fürst Friedrich werde deinetwegen zu den Waffen greifen?« Ich sagte: »Das wollte ich keineswegs.« »Und wo wirst du dann bleiben?« Ich antwortete: »Unter dem Himmel!« Darauf er: »Wenn du den Papst und die Kardinäle in deiner Gewalt hättest, was würdest du machen?« »Ich würde ihnen«, sagte ich, »alle Reverenz und Ehre erweisen.« Darauf sagte jener, nach italienischem Gestus mit einer verächtlichen Fingerbewegung: »Ei!«, ging weg und kam nicht wieder.

Am selben Tage teilte der kaiserliche Rat dem Kardinal mit, mir sei des Kaisers Schutz oder freies Geleit erteilt, und fügte die Ermahnung bei, nichts zu Hartes gegen mich anzuordnen. Er soll geantwortet haben: »Schon gut, ich werde trotzdem tun, was meines Amtes ist.« Das waren die Anfänge dieses Sturms. Das übrige ist aus den nachstehenden Akten zu ersehen.



* Die 95 Thesen von Oktober 1517.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite