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Die Lehre einer praktischen Spiritualität – Predigt von Johannes Tauler (14. Jahrhundert, veröffentlicht 1515/16)

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Von disem wassere sprach unser herre in der núwen e an zwein stetten in dem ewangelio. ‘Alle die’, sprach er, ‘die do túrstet, die komen zů mir und trinken, und die in mich gelǒbent, von der libe súllent springen lebende wasser, und súllent springen in das ewig leben’. Und von diesem wasser sprach er zů der frǒwen uf dem burnen: ‘der von diesem wasser trinket, den túrstet aber, sunder die von dem wasser trinkent das ich gibe, den getúrstet eweklich niemer me, und hettest du das von mir geheischen, das het ich dir gegeben’.

‘Ach herre’, sprach sú, ‘das wasser gib mir, das ich nút her wider in dúrffe komen und wasser schephen’. Do sprach unser herre: ‘gang zem ersten und hole dinen man (das ist bekentnisse din selbes) und bichte mir zů grunde das du eine cisterne als vil und als lange bist gewesen, also das du die lebenden wasser nút getrunken enhast; denne múgen si dir werden. Und fúnf man hest du gehebt (das sint dine fúnf sinne): ach den hest du gelebet und der gebruchet nach dinem lust und hast dich des lebenden burnen unwirdig gemachet mit diner sinnelichen uswúrkunge, da du alles inne gestanden hast unordenlich: dannan ab ker dich noch und ker zů mir wider umbe, und ich wil dich enphohen’

Er sprach och durch den selben propheten Jeremiam in dem vierden capittel, und beklaget sich och do von dir und sprach: ‘ich han dich gemacht minen userwelten wingarten, und ich han gebeitet das du mir soltest han bracht den aller besten edelsten win von Kipern, win von Engadi’, und sprach von grossem flisse den er an den wingarten geleit hat: ‘ich han in umbegraben und einen hag dar umbe und einen zun gemacht und eine trotten drin gebuwen und die steine dar us gelesen’ (alleine er dis sprach zů dem volke, so meinet Got alle menschen hie mitte bis an das ende der welte) ‘und du bist mir alze bitter worden. Du hast mir bracht bitteren win, suren húnschen win, und hast mir fúr den edelen win und fúr die trúbel braht wintertrolen und bös ding, und des můs ich mit dir kriegen an dem gerichte. Wer das du dich woltest zů mir keren, so wolt ich dir in giessen lebent wasser und wore minne’.

Von disem lebenden wasser sprach ein meister, heisset Richardus, ein grosser meister der heiligen geschrift, das die minne hat vier grete.

Der erste grat der minne heisset eine wunde minne, wan die sele mit der stralen der minne von Gotte wirt verwunt, das ir dis lebende wasser wirt geschenket der woren minne: so wundet si Got wider mit irre minne. Und von der minne sprach unser herre in der minne bůch: ‘swester min, du hast min herze verwunt mit eime dinre ǒgen und mit eime hore dines halses’. Das emzige ǒge das ist ein emzige angesicht des bekentnisse und des gemútes das luterlichen uf Got gat. Und das emzige har das ist luter und unvermengte minne. Hie mit wirt Got verwunt von der selen.

Der ander grat der woren minne, das nemmet diser meister eine gevangene minne. Es stet geschriben: ‘ich sol dich ziehen in dem seile Adams’.

Die dritte minne das ist ein qwellende minne. Von der sprach die brut in der minne bůche: ‘ir töchteren von Jerusalem, vindent ir minen geminten, sagent im das ich von minne qwele’.

Die vierde minne das ist die verzerende minne. Von der sprach der prophete in dem salter: ‘defecit; min sele die ist verzert und ist ab genomen, herre, in dinem heile’.

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