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Der Harrison-Bericht (September 1945)

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Ganz allgemein wird von den Diensten der Displaced Persons unzureichend Gebrauch gemacht. Viele von ihnen sind imstande und begierig darauf, zu arbeiten, aber anscheinend werden sie in dieser Hinsicht nicht berücksichtigt. Ich sehe zwar ein, dass es manchmal Verständigungsschwierigkeiten geben mag. Dennoch bin ich überzeugt, dass sowohl inner- als auch außerhalb der Lager ein größerer Nutzen aus den persönlichen Diensten jener Displaced Persons gezogen werden könnte, die aller Wahrscheinlichkeit noch eine ganze Weile zur Verfügung stehen werden. Glücklicherweise wird in einigen Lagern jede Anstrengung unternommen, die Dienste der Displaced Persons nutzbar zu machen, und just diese tendieren auch dazu, in jeder Hinsicht die besten Lager zu sein.

4. Sollte (a) eine Evakuierung aus Deutschland und Österreich nicht sofort möglich sein und können (b) die ehemals Verfolgten nicht in Dörfern untergebracht oder bei der deutschen Bevölkerung einquartiert werden können, empfehle ich dringend, dass getrennte Lager für die Juden eingerichtet werden oder wenigstens für diejenigen, die mangels einer besseren Lösung in solchen Lagern zu leben wünschen. Es gibt dafür mehrere Gründe: (1) eine große Mehrheit möchte dies; (2) es ist die einzige Art und Weise, ihre speziellen Bedürfnisse und Probleme verwaltungstechnisch zu regeln, ohne sich dem Vorwurf einer Sonderbehandlung auszusetzen oder (seltsam genug) den Vorwürfen von „Diskriminierung“ gegenüber den jüdischen Organisationen zu begegnen, die jetzt darauf eingestellt und bereit sind, ihnen Unterstützung zu gewähren.

In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass es sich hierbei nicht um einen Fall von Aussortierung einer besonderen Gruppe für spezielle Privilegien handelt. Es handelt sich vielmehr darum, die Position einer Gruppe auf ein normaleres Niveau zu heben, die durch jahrelange organisierte, unmenschliche Unterdrückung auf das denkbar niedrigste Niveau erniedrigt wurde. Die Maßnahmen, die für ihre Entschädigung nötig sind, fallen nicht in den Bereich einer vernünftigen Interpretation von Sonderbehandlung und sind aus juristischen und humanistischen Erwägungen erforderlich.

An einigen Stellen besteht die Tendenz, in Richtung getrennter Lager für diejenigen zu planen, die möglicherweise staatenlos sind oder nicht-repatriierbar, oder deren Repatriierung wahrscheinlich noch einige Zeit verzögert werden wird. In der Tat ist dies auch vor einiger Zeit als Politik der SHAEF angekündigt worden, aber in der Praxis hat das nicht viel bedeutet, da es abgelehnt wird (was verständlich ist, wenn damit nicht übertrieben wird), eine mögliche Staatenlosigkeit in Betracht zu ziehen und darauf bestanden wird, im Sinne des großen Repatriierungsprogramms, alle als repatriierbar anzusehen. Das führt zu einem Widerstand gegen alles, was nach spezieller Planung für den „harten Kern“ aussieht, obwohl alle zugeben, dass eine solche besteht und unvermeidlich in Erscheinung treten wird. In unserem Bericht über die Lager muss auch darauf hingewiesen werden: Während es sein kann, dass die Bedingungen in Deutschland und Österreich noch immer solcherart sind, dass gewisse Sicherheitsmaßnahmen erforderlich sind, scheint es wenig Rechtfertigung für das Fortbestehen von Stacheldrahtzäunen, bewaffneten Bewachern und Verboten zu geben, das Lager zu verlassen, außer mit Passierscheinen, die an einigen Orten nur widerstrebend ausgestellt werden. Als Grund für diese strikten Maßnahmen wird die Verhinderung von Plünderungen angegeben, aber es ist interessant, dass es in Bereichen der Seventh Army, wo eine größere Bewegungsfreiheit in und aus den Lagern gewährt wird, tatsächlich weniger Plünderei gibt als in anderen Gebieten, wo die Leute, die das Lager zeitweilig zu verlassen wünschen, dies nur heimlich tun können.

5. So schnell wie möglich muss die eigentliche Leitung solcher Lager einer zivilen Behörde, der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration), übertragen werden. Diese Organisation ist sich der Schwächen in ihrer momentanen Struktur bewusst und drängt darauf, diese zu beheben. In diesem Zusammenhang besteht die Auffassung, dass von Seiten der Militärbehörden, von denen jegliche Zivilbehörde in Deutschland und Österreich heutzutage in Bezug auf Wohnraum, Transport und andere Belange abhängig ist, mehr Hilfe geleistet werden könnte. Während es einerseits zutrifft, dass das Militär UNRRA gedrängt hat, sich zur Übernahme von Verantwortung bereit zu halten, ist es andererseits eine Tatsache, dass unzureichende aktive Zusammenarbeit geleistet worden ist, um das gewünschte Ziel zu erreichen.

6. Da in jedem Fall die Militärbehörden notwendigerweise weiter am Programm für alle Displaced Persons beteiligt sein werden, insbesondere mit Blick auf Unterbringung, Transport, Sicherheit und bestimmte Versorgungsgüter, wird empfohlen, das militärische Personal, das für die Position der Lagerkommandanten ausgewählt worden ist, einer Revision zu unterziehen. Einige derjenigen, die momentan auf diesen Posten sind, mögen vielleicht für den Job der Massenrepatriierung geeignet sein, sind aber offenkundig ungeeignet für die längerfristige Arbeit in einem Lager, in dem sich Menschen aufhalten, deren Repatriierung oder Wiederansiedlung voraussichtlich verzögert werden wird. Diejenigen Offiziere, die irgendeinen Hintergrund oder Erfahrung in der Sozialfürsorge haben, sollten bevorzugt werden, und es besteht die Auffassung, dass es durchaus einige davon gibt. Es ist äußerst wichtig, dass die ausgesuchten Offiziere dem Programm wohlwollend gegenüberstehen und dass sie von ihrem Temperament her in der Lage sind, mit UNRRA und anderen Hilfsorganisationen und Sozialbehörden zu arbeiten und zu kooperieren.

7. Solange die Verantwortungsübernahme der täglichen Organisation durch die UNRRA noch aussteht, wäre es wünschenswert, wenn ein umfassenderer Plan zur Besichtigung vor Ort durch die entsprechenden Army Group Headquarters eingeführt würde. Es besteht die Auffassung, dass viele der momentan in den Lagern herrschenden Bedingungen nicht toleriert würden, wenn sie den übergeordneten Offizieren durch Inspektionsreisen besser bekannt wären.

8. Es wird dringend empfohlen, dass die Pläne für Suchdienste, die im Augenblick zur Diskussion stehen, in höchstem Massen beschleunigt werden und dass (was in dieselbe Richtung geht) den Displaced Persons innerhalb Deutschlands und Österreichs so rasch wie möglich ein System des Nachrichtenaustauschs zur Verfügung gestellt wird, wenn auch nur auf offenen Postkarten. Die Schwierigkeiten dabei werden zwar gewürdigt, aber es wird angenommen, dass, wenn die Angst der Menschen, die so lange misshandelt und gequält wurden, gänzlich nachvollzogen würde, in naher Zukunft Mittel und Wege gefunden werden könnten, um einen derartigen Nachrichtenaustausch und die Suche nach Verwandten zu ermöglichen. Ich glaube auch, dass einige der privaten Organisationen in dieser Richtung weiterhelfen könnten, wenn man ihnen die Möglichkeit gäbe, tätig zu werden.

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