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Ursachen der Abwanderung: Bericht einer Brigade der ZK-Abteilung für Sicherheitsfragen (24. Mai 1961)

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Begünstigend auf Republikfluchten wirken sich vorhandene Mängel und Unzulänglichkeiten in der Produktion und in den gesellschaftlich-menschlichen Beziehungen aus. Wie z. B.

– Schwierigkeiten im Produktionsablauf
– Mängel in der Planung, unkontinuierlicher Produktionsablauf
– Wartezeiten – Lohnminderungen
– ständige Veränderungen in der Konstruktion und Technologie
– Umbesetzungen von Arbeitskräften usw.
– artfremder Einsatz von Facharbeitern.

Viele Angehörige der technischen Intelligenz und Arbeiter bringen diese Mängel und Unzulänglichkeiten in Verbindung mit persönlicher Unzufriedenheit, Lohnfragen, Überbelastung.

Durch herzloses, bürokratisches Verhalten, Nichtbeachtung persönlicher Schwierigkeiten wird diese Unzufriedenheit verstärkt. Die persönliche Unzufriedenheit, auftretende Schwierigkeiten nährten bei vielen den Unglauben in die Richtigkeit der Politik von Partei und Regierung. [ . . . ]

Nicht selten ist die Angst vor einer Strafe Anlaß zur Republikflucht. Dabei ist charakteristisch, daß die zu erwartende Strafe nicht hoch gewesen wäre. Von der Brigade wurden 17 Fälle überprüft und dabei festgestellt, daß nur 2 schwere Verbrechen und Vergehen vorlagen. In der Mehrzahl sind es Jugendliche oder Bürger, die erstmals straffällig wurden und noch kein richtiges Vertrauen zu unseren Staatsorganen und zur sozialistischen Rechtspflege haben.

Abenteuerlust und Sucht nach Veränderungen ist eine vielfache Ursache der Republikflucht bei Jugendlichen. Ein großer Einfluß erfolgt dabei durch die eingeschleuste Schundliteratur, Abhören westlicher Rundfunksender, Verbindungen mit Film- und Jazzclubs, Sender Luxemburg u. a. sowie bestehende Cliquen von Jugendlichen, die sich mit bestimmten »Hobbys« befassen.

Die Abenteuerlust wird vielfach auch durch solche Bemerkungen älterer Kollegen genährt, die sagen: »Als ich so jung war wie du, hab ich mir erst einmal die Welt angesehen«.

Drei Jugendliche der Oberschule Barnstädt/Querfurt versuchten wiederholt, die DDR in der Absicht zu verlassen, um in Amerika Cowboy zu werden.

In Hettstedt hatten 4 republikflüchtige Jugendliche briefliche Verbindungen zu Jazzclubs und haben die Republik verlassen, nachdem ihre Gruppen »zerschlagen« waren.

Einen nicht geringen Einfluß auf die Republikflucht haben persönliche und soziale Probleme, wie z. B.

– Ehestreitigkeiten
– Wohnungsschwierigkeiten
– moralische Vergehen
– materielle Schwierigkeiten. [ . . . ]

Aus der vorliegenden Darstellung der Ursachen, Umstände der Republikfluchten und Methoden der Abwerbung ist ersichtlich, daß die Sicherheitsorgane allein mit den Problemen nicht fertig werden. Der Brigadeeinsatz im Bezirk Halle hat dazu beigetragen, bei den Partei-, Staats-, Wirtschaftsorganen und Massenorganisationen eine größere Klarheit auf diesem Gebiet zu erreichen. [ . . . ]



Quelle: BArch P, DO 1/11/18, Bl. 25–26/44–51; abgedruckt in Dierk Hoffmann, Karl-Heinz Schmidt, Peter Skyba, Hg., Die DDR vor dem Mauerbau: Dokumente zur Geschichte des anderen deutschen Staates, 1949-1961. München: Piper, 1993, S. 384-89.

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