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Republikflucht von Jugendlichen sowie jugendliche Rückkehrer und Zuziehende in der Zeit vom Januar bis September 1960 (10. November 1960)

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Obwohl aus den vorliegenden Materialien die soziale Stellung dieser Jugendlichen sehr unvollständig ist, ergibt sich doch folgender Überblick:

a) Den größten Teil dieser republikflüchtigen Jugendlichen machen die Jugendlichen aus der Industrie und Landwirtschaft aus, wovon ein nicht unbeträchtlicher Teil junge Facharbeiter sind. Sehr ernst ist, daß diese Jugendlichen aus den volkswirtschaftlich wichtigen Schwerpunkten der einzelnen Bezirke kommen.

So ist zum Beispiel im Bezirk Halle die Stadt Halle selbst, der Kreis Merseburg (hier speziell die chemischen Großbetriebe) und weiterhin Kreise wie Wittenberg, Dessau, Weißenfels u.a. Schwerpunkt.

b) Ein nicht unbedeutender Teil der republikflüchtigen Jugendlichen sind junge Lehrer der allgemeinbildenden Schulen, Studenten, Fachschüler, Oberschüler und Abiturienten.

Von diesen Jugendlichen verliessen in der Zeit von Juli bis September 1960 2.006 die Republik. Dabei stieg die Zahl der jungen Lehrer von 39 im Juli bis 292 im September, der Studenten von 52 im Juli auf 107 im September und bei den Oberschülern und Abiturienten von 176 auf 345 im September.

Bei den Oberschülern und Abiturienten ist sehr charakteristisch, daß sie meistens nur gemeinsam mit den Eltern die DDR verlassen. Es haben zum Beispiel in der Stadt Rostock von 42 Jugendlichen 31 die Republik mit ihren Eltern verlassen.

Bei der jungen Intelligenz, die republikflüchtig wird, ist bei der Einschätzung von großer Bedeutung, daß es in den verschiedenen Bezirken hierbei Schwerpunkte gibt. So sind vom Amt für Maße und Gewicht in Berlin 16 junge Intelligenzler republikflüchtig geworden, die alle in Jena und Halle studiert haben.

Weiterhin ist z.B. das Institut für Post- und Fernmeldewesen in Berlin ein weiterer Schwerpunkt.

Die Überprüfung der Ursachen der Republikflucht zeigt in der Hauptsache die Unterschätzung der ständigen, beharrlichen, politisch-ideologischen Arbeit unter der Jugend.

Nach wie vor stützen sich viele der leitenden Parteiorgane und Grundorganisationen der Partei, besonders aber die Leitungen des Jugendverbandes, nur auf die Vorhut der Jugend, vernachlässigen die Aktivierung des ganzen Jugendverbandes und lassen damit die wichtigste Voraussetzung außer acht, an die gesamte Jugend heranzukommen.

Ausdruck dieser Vernachlässigung ist die Tatsache, daß z.B. die programmatische Erklärung des Staatsrates vor der Volkskammer vielen Jugendlichen dem Inhalt nach unbekannt ist.

Seine Ursache hat das unter anderem darin, daß viele Funktionäre in ihrem Auftreten vor der Jugend wohl von dieser programmatischen Erklärung sprechen, ohne sie der Jugend zu erklären.

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