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Publizist Arnulf Baring warnt vor einem deutschen Niedergang (1997)

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Die fatale Arbeitslosigkeit

Auf dem Arbeitsmarkt herrscht in Deutschland augenblicklich eine paradoxe Situation: Offiziell gibt es vier bis fünf Millionen Arbeitslose. Schätzungen der wirklichen Situation gehen jedoch angesichts der verdeckten Arbeitslosigkeit von sechs bis sieben Millionen aus, weil man ABM-Beschäftigte und andere, irgendwo, etwa in Universitäten, als Studenten geparkte Arbeitskräfte hinzurechnen müsse. Die wahre Arbeitslosenquote soll im Westen bei fünfzehn, im Osten bei 25 Prozent liegen.

Auf der anderen Seite gibt es heute ganze Berufssparten, die aussterben. Ob sich solche Mängel durch Einwanderung auf Dauer beheben lassen, ist zweifelhaft. In der sozialdemokratischen Bildungspolitik der späten sechziger und frühen siebziger Jahre war es eine Grundannahme, daß sich die Deutschen allmählich in hochqualifizierte Berufe hinauf bewegten, während einfache Arbeiten Ausländern überlassen würden. Es war verwunderlich, daß eine auf soziale Gleichheit bedachte Partei wie die SPD in diesem Punkt derart elitär dachte und eine horizontale Gliederung in Deutsche oben, Ausländer unten für angemessen und richtig hielt.

Wir werden jedoch nicht umhin kommen, eigenen Landsleuten künftig Berufe nahezulegen, für die sie sich heute noch zu schade fühlen. Das gilt gerade für junge Menschen, die am beruflichen Anfang stehen. Denn die Jugendarbeitslosigkeit (der natürlich nicht allein auf diesem Wege beizukommen ist) kann sich zu einem sozialen Sprengstoff mit großer Explosionskraft entwickeln. Wenn junge Leute in großer Zahl in unserer Gesellschaft keinen Arbeitsplatz finden, wird das ganz andere Auswirkungen haben, als wenn man Leute mit 55 oder mit 60 vorzeitig in die Rente entläßt.

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In ganz Deutschland ist die Arbeit nicht nur teurer, die Deutschen haben im internationalen Vergleich die mit Abstand kürzesten Arbeitszeiten. Im Jahr 1994 leistete ein Beschäftigter in der deutschen Industrie im Durchschnitt 1527 Arbeitsstunden jährlich. In den USA lag die Arbeitszeit demgegenüber bei 1994 Stunden, in Japan bei 1964 Stunden. Auch bei den Maschinenlaufzeiten liegt Deutschland mit 60 Stunden pro Woche abgeschlagen auf dem letzten Platz. Im Vergleich dazu laufen die Maschinen in Belgien beispielsweise 98 Stunden in der Woche. Die verheerenden Auswirkungen kann man an der Entwicklung der Auslandsinvestitionen in Deutschland ablesen: 1996 investierten ausländische Unternehmen nur noch 1,1 Milliarden Mark in Deutschland. 1995 waren es immerhin noch 18,2 Milliarden gewesen. Auch die deutschen Investitionen im Ausland sanken innerhalb dieses einen Jahres – von 52 Milliarden 1995 auf 38,8 Milliarden im Jahr darauf.

Momentan ist kein Ende der Schraube nach unten in Sicht. Wir gehen von offiziell gegenwärtig vier bis fünf Millionen Arbeitslosen womöglich auf die doppelte Zahl zu, ohne daß man sähe, wie dieser Trend kurzfristig gestoppt werden könnte. Bis zu welchem Punkt werden Gesellschaft und Staat mit diesem Schwund leben können? Wie werden wir Mittel für Zukunftsinnovationen aufbringen, die Deutschland braucht, wenn unsere Leistungskraft wieder zunehmen soll?

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Es ist auch kein Geheimnis, daß es einen breiten Sozialmißbrauch gibt. Bei der gegenwärtigen Höhe von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe sind viele finanziell bessergestellt, wenn sie sich arbeitslos melden und nebenher schwarz arbeiten oder einen steuerfreien 590-Mark-Job annehmen. Es kann doch beispielsweise nicht angehen, sollte man denken, daß ein Drogeriebesitzer keine Vollzeit-Verkäuferin findet, keine junge Frau, die bereit ist, einer tariflich bezahlten, regulär versteuerten Tätigkeit nachzugehen, und sich statt dessen mehrfach anhören muß: eine Regelung unter der Hand, am Finanzamt vorbei, würden die Bewerberinnen akzeptieren.

Für manchen, so muß man vermuten, ist die Arbeitslosigkeit zu einem finanziell vorteilhaften Status geworden – vergleichbar einem Studenten, der zwar an der Universität eingeschrieben ist, um durch die Studenten eingeräumten Vergünstigungen Geld zu sparen, sich aber nicht ums Studium, sondern ums Geldverdienen kümmert.

Unser großzügiges Sozialsystem verdirbt die Arbeitsethik und ist außerdem nicht mehr finanzierbar. So einfach ist das.

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