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Ein türkisch-deutscher Schriftsteller über Wege zur Überwindung der türkisch-deutschen Trennung (22./23. August 1998)

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Drittens: Regulieren schafft Vertrauen
Vertrauen wird in Deutschland fast nur auf dem Gesetzesweg geschaffen. Deswegen ist ein Einwanderungsgesetz unvermeidlich. Nur so kann man Ängsten in der Bevölkerung entgegenwirken, alle Schleusen seien offen und eine Invasion Deutschlands von außen stünde bevor.

Viertens: Sexappeal stärken
Deutschland muß wieder attraktiver werden. Dieses Land hat eine Menge zu bieten, was Menschen unterschiedlicher Herkunft anzieht und längerfristig an sich bindet. Die Unternehmen haben hierbei eine Vorbildfunktion. Die deutsche Wirtschaft hat in den letzten Jahrzehnten Millionen von Menschen unterschiedlichster Herkunft in den Arbeitsprozeß integriert. Eine großartige Leistung, über die heute keiner spricht, von der aber alle Beteiligten profitiert haben.

Fünftens: Vom Abstammungsstaat zur Bürgergesellschaft
Integration von Fremden kann nur gelingen, wenn man der mythischen Kraft des Gemeinschaftsgefühls, die ausschließlich über Herkunft geschaffen wird, institutionelle Komponenten entgegenstellt. Institutionen können Identifikationsmöglichkeiten anbieten. Sie sprechen anders als die Mythen das Rationale im Menschen an. Ohne starke Institutionen gibt es keine Bürgergesellschaft. Und nur eine Bürgergesellschaft kann Menschen unterschiedlicher Herkunft auf Dauer in einem Staatswesen zusammenbringen. Die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft darf nicht länger ausschließlich ethnisch bestimmt werden. Der Abstammungsstaat hat keine Zukunft. Er basiert auf Mythen. Und mit denen allein kann keine interkulturelle Kompetenz erlangt werden.

Diese Schritte stellen freilich auch die Einwanderer vor Herausforderungen. Unter ihnen hat man sich bislang auf Forderungen konzentriert, die vor allem die Staatsbürgerschaftsfrage und in untergeordnetem Maße die Kultur- und Bildungspolitik betrafen. Diese Forderungen müßten stärker begleitet werden von konzeptionellen Überlegungen, von durchdachten und vorgelebten Integrationsabsichten. Die Abnabelung der Deutschlandtürken von der Türkei steht noch bevor.

Dabei wirkt der türkische Patriotismus zunehmend als Integrationshindernis. Die Türken in Deutschland wären gut beraten, statt eines diffusen türkischen oder kurdischen Patriotismus auf deutschem Boden einen Kosmopolitismus mit universellem Anspruch zu entwickeln, der sie zu einer Avantgarde der Bürgergesellschaft in Deutschland machen würde. Dafür sind die Voraussetzungen durchaus gegeben.

Gerade die in Deutschland geborene und aufwachsende Generation der Deutschlandtürken wohnt vor allem in den Metropolen Deutschlands. Städte wie Frankfurt, Köln, Hamburg und Berlin sind kulturelle Zentren, die ihren Einwohnern jegliche Möglichkeit bieten, an der Weltkultur teilzuhaben und ein kosmopolitisches Lebensgefühl zu entwickeln.

Die kosmopolitische, städtische Elite verfügt wie selbstverständlich über interkulturelle Kompetenz. Sie ist gut ausgebildet und auch im Wirtschaftsleben erfolgreich. In Deutschland existiert eine solche deutsch-türkische Elite. Sie wird jedoch weitgehend ausgeblendet, wenn die Sprache auf die Türken in Deutschland kommt. Repräsentiert werden dann vor allem die Verlierer, die sogenannten Kanaken.

Die deutsch-türkische Elite müßte sich deutlicher artikulieren, sich Deutschland und deutschen Themen zuwenden und auch eigene Organisationen bilden, die sich nicht im Fahrwasser des türkischen Patriotismus bewegen.

Fragen der nationalen Identität sind in Deutschland komplexbeladen und können nicht gelassen diskutiert werden. Es gibt historisch gewachsene Ängste, Schuldgefühle und verdrängte Aggressionen, die wir nicht ausklammern dürfen, wenn wir die Probleme in unserer Gegenwart meistern wollen. In Deutschland wird der Begriff der Vergangenheit von der Erfahrung des Holocaust überschattet.

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