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Kosmopolitismus und Patriotismus vermischen sich während der Fußballweltmeisterschaft (19. Juni 2006)

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Da kann man schon mal ein schwarzrotgoldenes Fähnlein schwenken, ohne sich schlecht fühlen zu müssen. Und das heißt nicht, dass das Dritte Reich vergessen wird, schon gar nicht von dem Historiker Wolfrum. Es ist nur natürlich, dass das deutsche Lebensgefühl an Leichtigkeit gewinnt, je mehr Jahre mit der geglückten Demokratie gesammelt werden. Deshalb wird nicht dauernd gefeiert, aber die Bereitschaft, sich gut zu fühlen, wird bleiben.

Ein deutscher Spieler, der sich über diese Dinge Gedanken macht, ist Christoph Metzelder. Am Freitag sitzt er im ICC und erzählt von seinen Gefühlen kurz vor Spielbeginn. „Die Nationalhymne ist für mich der emotionale Höhepunkt eines Länderspiels”, sagt er, diese Minuten mit diesen elf Spielern Seite an Seite „zeigen, dass wir wirklich zusammenstehen”. Wie „peinlich” sei es früher gewesen, wenn auf den Anzeigetafeln der Text eingeblendet werden musste – und wie berauschend sei es heute, wenn ein ganzes Stadion so lustvoll singe und so laut wie in Dortmund. Er habe nicht mal die Instrumente hören können.

Christoph Metzelder erlebt in diesen Tagen ein anderes Land und eine andere Fußball-Weltmeisterschaft, anders, als er es erwartet hätte.

Natürlich, über Bild und alle anderen, die eifrig an einer neuen oder doch eher alten Gesinnung arbeiten und darum Ballack beschimpfen wegen seines T-Shirts, „muss man sarkastisch lachen”.

Er sagt: „Die Leute denken nicht in den Kategorien Sieg oder Niederlage. Sie machen sich frei davon und genießen, dass wir da sind. Die WM hat sich etwas von uns losgelöst, sie ist das große Fest vieler Kulturen geworden, das sehr, sehr toll und sehr offen zelebriert wird.”

Was ist da passiert, was hat sich geändert? Der Fußballer Metzelder glaubt, dass es eine Frage von Generationen sei: „Meine Generation ist ja in einer der stabilsten Demokratien der Welt aufgewachsen. Wir vergessen die Mahnung dieser zwölf Jahre der Nazi-Zeit nicht, wir haben sie im Kopf. Aber wir können unbefangen und unbekümmert leben, und so können wir auch Fußball spielen.”



Quelle: Dirk Kurbjuweit et al., „Deutschland, ein Sommermärchen”, Der Spiegel, 19. Juni 2006, S. 68-81.

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