GHDI logo

Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Auszüge aus Die Vernunft in der Geschichte (1837)

Seite 11 von 12    Druckfassung    zurück zur Liste      nächstes Dokument


Die zweite Gestalt dieser geistigen Welt ist dann eben darin vorhanden, daß sich das Prinzip des Geistes konkret zu einer Welt gebildet hat. Es ist das Bewußtsein, Wollen der Subjektivität als einer göttlichen Persönlichkeit, das in der Welt zunächst in einem einzelnen Subjekt erscheint. Aber es ist zu einem Reiche des wirklichen Geistes ausgebildet worden. Diese Gestalt kann als die germanische Welt bezeichnet, die Nationen, denen der Weltgeist dies sein wahrhaftes Prinzip aufgetragen hat, können germanische genannt werden. Das Reich des wirklichen Geistes hat das Prinzip der absoluten Versöhnung der für sich seienden Subjektivität mit der an und für sich seienden Gottheit, mit dem Wahren, Substanziellen, daß das Subjekt frei für sich ist und nur insofern frei, als es selbst dem Allgemeinen angemessen ist, im Wesen steht: das Reich der konkreten Freiheit.

Von jetzt an wird weltliches und geistliches Reich sich gegenüberstehen. Das Prinzip des Geistes, der für sich ist, ist in seiner Eigentümlichkeit Freiheit, einerseits Subjektivität. Das eigene Gemüt will bei dem sein, wofür es Respekt haben soll. Dies eigene Gemüt aber soll kein zufälliges sein, sondern das Gemüt nach seinem Wesen, nach seiner geistigen Wahrheit. Dies offenbart uns Christus in seiner Religion; seine eigene Wahrheit, die die das Gemüts ist, ist, die Versöhnung an und für sich vollbracht. Weil sie aber erst in sich vollbracht ist, so beginnt wegen ihrer Unmittelbarkeit diese Stufe mit einem Gegensatz.

Zwar beginnt sie geschichtlich mit der im Christentume geschehenen Versöhnung; aber weil diese selbst erst beginnt, für das Bewußtsein nur an sich vollbracht ist, zeigt sich zuerst der ungeheuerste Gegensatz, der dann aber als Unrecht und als aufzuheben erscheint. Es ist der Gegensatz des geistigen, religiösen Prinzips, dem das weltliche Reich gegenübersteht. Das weltliche Reich ist aber nicht mehr das voherige, sondern das christliche, das daher der Wahrheit angemessen sein müßte. Das geistige Reich aber muß auch dahin kommen, anzuerkennen, daß das Geistige im Weltlichen realisiert sei. Insofern beide unmittelbar sind, hat aber das weltliche Reich die willkürliche Subjektivität noch nicht abgestreift, ebenso andererseits das geistliche noch nich das weltliche anerkannt; so stehen beide im Kampf. Der Fortgang ist deswegen nicht ruhige, widerstandslose Entwickelung; der Geist geht nicht ruhig zu seiner Verwirklichung fort. Sondern die Geschichte ist diese, daß beide Seiten ihre Einseitigkeit, diese unwahrhafte Form, abtun. Auf der einen Seite ist die hohle Wirklichkeit, die dem Geist angemessen sein soll, aber noch nicht angemessen ist; deshalb muß sie untegehen. Auf der andern Seite ist das geistige Reich zunächst ein geistliches, das sich in die äußere Weltlichkeit versenkt; und wie die weltliche Macht äußerlich unterdrückt wird, so verdirbt die geistliche. Dies macht den Standpunkt der Barbarei aus.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite