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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Auszüge aus Die Vernunft in der Geschichte (1837)

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Die Geschichte muß überhaupt mit dem Verstande betrachtet, Ursache und Wirkung müssen uns begreiflich gemacht werden. Das Wesentliche an der Weltgeschichte wollen wir auf diese Weise betrachten mit Übergehung des Unwesentlichen. Der Verstand hebt das Wichtige und an sich Bedeutende hervor. Das Wesentliche und Unwesentliche bestimmt er sich nach dem Zwecke, den er bei Behandlung der Geschichte verfolgt. Diese Zwecke können von der größten Mannigfaltigkeit sein. Sogleich beim Aufstellen eines Zweckes tun sich mehr Berücksichtigungen kund; es gibt da Haupt- und Nebenzwecke. Wenn wir dann das in der Geschichte Gegebene mit den Zwecken des Geistes vergleichen, so werden wir auf das alles verzichten, was sonst interessant ist, und an das Wesentliche uns halten. So bietet sich der Vernunft ein Inhalt dar, der nicht einfach auf derselben Linie steht mit dem, was sich überhaupt zugetragen hat, – Zwecke, die den Geist, das Gemüt wesentlich interessieren und schon bei der Lektüre uns zur Trauer, Bewunderung oder Freude hinziehen.

Aber die unterschiedlichen Weisen des Nachdenkens, der Gesichtspunkte, der Beurteilung auszuführen schon über bloße Wichtigkeit und Unwichtigkeit, welches die am nächsten liegenden Kategorien sind, über das, worauf wir unter dem unermeßlichen Material, das vor uns liegt, [das Hauptgewicht legen]. Gehört nicht hierher.

[Dagegen sind die Kategorien kurz anzugeben, in denen sich die Ansicht der Geschichte allgemein dem Gedanken darstellt.] Die erste Kategorie ergibt sich aus dem Anblick des Wechsels von Individuen, Völkern und Staaten, die eine Weile sind und unser Interesse auf sich ziehen und dann verschwinden. Es ist die Kategorie der Veränderung.

Wir sehen ein ungeheures Gemälde von Begebenheiten und Taten, von unendlichen mannigfalten Gestaltungen der Völker, Staaten, Individuen, in rastloser Aufeinanderfolge. Alles, was in das Gemüt des Menschen eintreten und ihn interessieren kann, alle Empfindungen des Guten, Schönen, Großen wird in Anspruch genommen, allenthalben werden Zwecke gefaßt, betrieben, die wir anerkennen, deren Ausführung wir wünschen; wir hoffen und fürchten für sie. In allen diesen Begebenheiten und Zufällen sehen wir menschliches Tun und Leiden obenauf, überall Unsriges und darum überall Neigung unsres Interesses dafür und dawider. Bald zieht uns Schönheit, Freiheit und Reichtum an, bald reizt Energie, wodurch selbst das Laster sich bedeutend zu machen weiß. Bald sehen wir die umfassendere Masse eines allgemeinen Interesses sich schwerer fortbewegen und, indem sie einer unendlichen Komplexion kleiner Verhältnisse preisgeben wird, zerstäuben, dann aus ungeheurem Aufgebot von Kräften Kleines hervorgebracht werden, aus unbedeutend Scheinendem Ungeheures hervorgehen, – überall das bunteste Gedränge, das uns in sein Interesse hineinzieht, und wenn das eine entflieht, tritt das andre sogleich an seine Stelle.

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