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Johanna Trosiener, Tochter eines Kaufmanns aus Danzig und spätere Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer und der Schriftstellerin Luise Adelaide Lavinia Schopenhauer, sinniert über ihre Kindheit und Jugend in den 1770er Jahren (Rückblick)

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Von jenem Morgen, der mich in die Flucht jagte, weiß ich nur, daß der Kandidat mich umfassen und an sich ziehen wollen, er, der noch nie auch nur meine Hand berührte! Dazu hatte er gerufen: Sie werden doch noch meine liebe kleine Frau! Doch das war genug und über genug, um wie mit Sturmesflügeln die zwei hohen Treppen hinab in den Schutz meiner Mutter mich zu treiben. [ . . . ]

Obendrein fühlte ich, als habe mein Lehrer ein ungeheures Verbrechen begangen, meine frühere Liebe zu ihm war verschwunden, mir grauete vor dem Gedanken, ihn wieder sehen zu müssen, und doch weinte ich vor Kummer darüber, ihn auf diese Weise verloren zu haben.

Meine Mutter wußte indessen als eine sehr verständige Frau und ohne alles Aufsehen uns Beide, den Kandidaten sowohl als mich, wieder zur Vernunft zu bringen. Kuscheln sein Unrecht und seine kaum zu entschuldigende Uebereilung begreiflich zu machen, war ihr vermuthlich nicht sehr schwer geworden; [ . . . ]

Ob mein Vater von dieser tragikomischen Verirrung des guten Kuschel jemals etwas erfahren hat, weiß ich nicht, in meinem Beisein wurde ihrer nie erwähnt, was unstreitig das Vernünftigste war. Auch in seinem übrigen Verhältniß zu unserm Hause, so wie im Betragen meiner Eltern gegen ihn, wurde auch nicht die kleinste Abänderung bemerkbar, was zu seiner Beruhigung viel beizutragen schien.

Das im Grunde alberne Ereigniß war also abgethan, fiel der Vergessenheit anheim, für mich aber hatte es doch die ernste Folge, daß ich gegen den herrschenden Gebrauch wenigstens zwei Jahre früher, als sonst üblich war, zur Konfirmation gelangte. Durch den ausgezeichneten Unterricht, den das Glück mir zugewendet hatte, war mein Erlerntes meinen Jahren gewissermaßen vorangeeilt. In vieler Hinsicht blieb ich aber doch noch an Alter wie an Verstand ein recht kindisches Kind, während ich unzeitig früh in die Reihe der Erwachsenen geschoben wurde.

Meinen Eltern blieb indessen keine andere Wahl, um mich auf milde Weise von meinem Lehrer zu trennen, dessen frühere Verdienste um meine Erziehung die größte Schonung zur Pflicht machte [ . . . ]

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