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Johanna Trosiener, Tochter eines Kaufmanns aus Danzig und spätere Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer und der Schriftstellerin Luise Adelaide Lavinia Schopenhauer, sinniert über ihre Kindheit und Jugend in den 1770er Jahren (Rückblick)

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Der Widerwille gegen den Gedanken für ein gelehrtes Frauenzimmer zu gelten, lag schon damals, wie eben noch jetzt, in meiner jungen Seele, so viel Rühmliches mir auch mein Kandidat von Madame Dacier und Frau Professorin Gottsched sagte, die obendrein meine Landsmännin war [ . . . ]

An schönen Sommerabenden, wenn die Kinder zu Bette geschickt waren, mein Vater unter dem Kastanienbaum, der unsern Beischlag beschattete, sein Abendpfeifchen rauchte, meine Mutter still freundlich neben ihm saß, dann zeigte Jameson, der nie versäumte, sich ebenfalls einzufinden, mir die Sterne, soweit der beschränkte Horizont sie zu übersehen uns erlaubte. [ . . . ]

Auch die Längen und Breiten der Lagen der verschiedenen Länder mußte ich berechnen, ich wußte auf ein Haar ihm zu sagen, wie viel um drei Nachmittags bei uns, in Paris oder Archangel die Uhr sei. Von jedem Schmetterlinge, jedem Käfer, der vorübersummte, wußte er mir etwas zu erzählen. So lernte ich immerfort; vergessen habe ich das Meiste, aber ich gewöhnte mich dabei doch auf das zu merken, was um mich her vorging, und nicht gedankenlos in die Welt hineinzustarren. [ . . . ]

Der englischen Sprache war ich inzwischen ganz unvermerkt fast eben so mächtig geworden, als der mir angebornen deutschen, ich las und verstand und sprach sie mit großer Fertigkeit. Vom Spectator, den tales of the genii und den Briefen der Lady Montague ging Jameson nun mit mir zu den Poeten über, und eine Welt voll warmen entzückenden Lebens öffnete sich mir.

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Römer, Griechen, Shakspeare, Homer, welchen Wirrwarr mußte das alles in einem so sehr jungen Mädchenkopfe anrichten! Gewiß war ich, obgleich Kuschel und Jameson alles dagegen thaten, in eminenter Gefahr, ein unerträglich überspanntes und verschrobenes Persönchen zu werden, so eine Art von gebildetem jungen Frauenzimmer. Doch eine neue Erscheinung bewahrte glücklicher Weise mich davor; eine Erscheinung, der ich, meine damaligen Zeitgenossen, unsere Kinder, und sogar noch theilweise unsere Enkel, unendlich viel verdanken.

Weissens Kinderfreund, der erst vor Kurzem ans Licht getreten war, dieses vortreffliche, in seiner Art noch immer unübertroffene Werk war es, das, wenn meine poetische Exaltation gar zu überschwenglich zu werden drohete, mich immer wieder in das Element zurückführte, in welches ich eigentlich noch gehörte, in die stille, freundliche Kinderwelt, die eben damals von dem schweren Joche der trübsinnigsten Pedanterie und unverständiger Härte langsam befreiet wurde, unter welchem sie bis dahin geseufzt hatte [ . . . ]

[Die Gesellschaft der jungen Damen]

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