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Johanna Trosiener, Tochter eines Kaufmanns aus Danzig und spätere Mutter des Philosophen Arthur Schopenhauer und der Schriftstellerin Luise Adelaide Lavinia Schopenhauer, sinniert über ihre Kindheit und Jugend in den 1770er Jahren (Rückblick)

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Fast sechs Jahre war ich alt, hatte von Anfang bis Ende Weissens damals Epoche machendes A, b, c-Buch durchstudirt, diesen ersten erfreulichen Verkündiger der unabsehbaren Reihe von Kinderbüchern, die bis auf den heutigen Tag ihm gefolgt sind, und noch folgen werden; ich hatte die schönen bunten Bilderchen in demselben nachgemalt, so gut es gehen wollte, und war folglich der Schule völlig entwachsen, die ich bis dahin besucht hatte.

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Damit denn doch etwas geschähe, wurde einstweilen ein Sprachmeister für mich angenommen, der beste in der Stadt, denn er war der einzige; ein alter, stumpfer Franzose, der seine Muttersprache halb vergessen und keine andere gelernt hatte. Der Unterricht währte nur einige Monate, mein Vater wurde bald gewahr, daß ich bei dem guten Alten nur retrograde Fortschritte machen könne, und beschränkte sich einstweilen darauf, so viel möglich französisch mit mir zu sprechen, um nur das Wenige, das ich spielend mit aus der Schule gebracht, mich nicht ganz verlernen zu lassen.

Indessen bedurfte ich doch einer ernsteren Beschäftigung, als meine übrigens zärtlich geliebten Puppen mir gewähren konnten, obwohl ich deren Haushalt auf sehr anständigen Fuß eingerichtet hatte, und mit großem Eifer ihm vorstand; und so mußten sich meine Eltern doch entlich entschließen, dem damaligen allgemeinen Gebrauch Folge zu leisten, und unerachtet meiner großen Jugend einen von allen Seiten ihnen empfohlenen Kandidaten der Theologie mir zum Lehrer zu geben, der die Verpflichtung übernahm, jeden Morgen eine Stunde mit mir zuzubringen. Die Anordnung des Unterrichts, den er mir ertheilen sollte, blieb dabei ihm völlig überlassen. Als ich ihm vorgestellt wurde, blickte er freilich das kleine sechsjährige Ding verwundert an, das man zur Schülerin ihm aufbürden wollte, doch er hatte sein Wort gegeben; der Versuch wurde gewagt, und es ging besser damit, als wir alle Beide erwarteten.

Kandidat Kuschel, so hieß mein neuer Lehrer, war der Sohn eines nicht bemittelten, aber sehr rechtlichen Handwerkers

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[Im beinahe täglichen Umgang mit Dr. Jameson] lernte ich nach und nach Englisch, fast ohne es gewahr zu werden; ich lernte es wie meine Muttersprache, für’s erste nur plaudern, dann aber auch lesen und schreiben.

Ein Mädchen und Englisch lernen! Wozu in aller Welt sollte das ihr nützen? Die Frage wurde täglich von Freunden und Verwandten wiederholt, denn die Sache war damals in Danzig etwas Unerhörtes. Ich fing am Ende an, mich meiner Kenntniß der englischen Sprache zu schämen, und schlug deshalb einige Jahre später es standhaft aus, auch Griechisch zu lernen, so sehr ich es innerlich wünschte, und so freundlich auch Jameson deshalb in mich drang.

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