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Der Sohn eines preußischen Unteroffiziers sinniert über seine Kindheit und Jugend im späten 18. Jahrhundert (Rückblick)

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Ich war 14 Jahre alt geworden, und es entstand die schwer zu beantwortende Frage: Welchem Berufe ich mich bestimmen wollte? Meine Neigung war entschieden auf das Studiren gerichtet, und am Liebsten hätte ich die Theologie gewählt, nicht etwa aus besonderer Vorliebe, sondern weil mir Medizin und Jurisprudenz nicht gefielen und ich von einer philosophischen Fakultät nichts wußte; sonst hätte ich mich unbedingt für Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie, Geographie, überhaupt für die naturwissenschaftlichen Disciplinen entschieden. Diese aber faßte ich gar nicht in’s Auge; denn was man werden könne, wenn man diese Fächer studirt habe, war mir ganz unbekannt. Daß ich an das Studiren nicht denken dürfe, sah ich aber nur zu wohl ein. Mein Vater besaß nicht die Mittel, um mich auf einem Gymnasium und nachher auf der Universität zu erhalten. [ . . . ]

Gänzlich unbekannt mit fast allen Lebensverhältnissen, abgeschnitten von jeder Gelegenheit, andere Berufsarten kennen zu lernen, und von den meisten Laufbahnen durch meine Armuth ausgeschlossen, ergab sich nach vielem Ueberlegen, daß es am besten sein und sich am leichtesten ausführen lassen würde, wenn ich nach Berlin ginge, um bei meiner Mutter Bruder, dem Goldschmied Willmanns, die Goldarbeiter-Profession zu erlernen. Ob mir das Geschäft gefallen würde, konnte ich im Voraus nicht bestimmen. Neigung fühlte ich nicht dazu; denn mir erschienen diese Arbeiten wenig nutzend und uninteressant; aber ich vermochte auch nichts Besseres vorzuschlagen. Zum Kaufmannsstande hatte ich keine Lust, kannte ich doch nur die jüdischen Kaufleute, und diese gefielen mir nicht. Von den in Friedland ausgeübten Handwerken gefiel mir auch keines; andere waren mir unbekannt, und wie man es anzufangen habe, Maler, Kupferstecher oder Bildhauer zu werden, wußte mir Niemand zu sagen. Der Vorschlag meiner Mutter blieb also als der allein zu verwirklichende übrig. Aber alle diese Pläne konnten sehr leicht durchkreuzt werden, und meine Mutter dachte mit Entsetzen an die Möglichkeit, ja an die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns. Denn jedes Jahr wurden Rekruten ausgehoben; jedes Jahr wurde Cantonrevision gehalten. Ich war schnell gewachsen, und bereits groß genug, um eingestellt zu werden. Mein Name mußte in den Cantonlisten stehen. Wurde ich gefordert, so mußte ich mich stellen, und daran, daß ich als untauglich zurückgestellt werden würde, war nicht zu denken. Dann aber waren alle Pläne vergeblich und mein Loos ein anderes, nach den Ansichten meiner Mutter, ein gräßliches. Allein ich wurde in diesem Jahre nicht aufgefordert, auch nicht in den folgenden, und das ist bei der bekannten militärischen Genauigkeit zu verwundern. Für meine Mutter und mich war dieses über unserm Haupte schwebende Damoklesschwert sehr beengend und beängstigend [ . . . ]

[ . . . ] Mit meinem Oheim war die Sache ins Reine gebracht, und er hatte sich bereit erklärt, mich anzunehmen. [ . . . ]

Der Abschied von Allem, was ich kannte und liebte, wurde mir recht schwer. Ich trat in eine unbekannte fremde Welt, die kein Herz für mich hatte, so wenig als ich für sie. Ich wußte nicht, was ich von ihr zu erwarten hätte, und blickte wie in ein Chaos, wie in einen unbestimmten Nebel, ungewiß, ob mir eine freundliche Gestalt daraus entgegen treten werde [ . . . ]

Es war der 13. Juli 1801, als ich in Berlin anlangte [ . . . ]. Meinen Empfang hatte ich mir wärmer gedacht; es war nicht anders, als ob ein Fremder käme. [ . . . ]

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