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Der Sohn eines preußischen Unteroffiziers sinniert über seine Kindheit und Jugend im späten 18. Jahrhundert (Rückblick)

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Das war eine schlimme Zeit; da war es sehr schwer, sich satt zu essen. Meine Mutter mußte die ganze Wirthschaft erhalten, und mein Vater, dessen Vergoldungsarbeiten längst aufgehört hatten, da sie aus der Mode gekommen waren, – mußte nothgedrungen stricken helfen, obgleich es ihm, trotz der guten Anweisung meiner Mutter, nicht sonderlich von Händen ging.

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Zu Ostern 1793 mußten wir die Kaserne verlassen. Meine Mutter hatte eine geringe Wohnung in der kleinen Hamburgerstraße an der Ecke der Linienstraße gemiethet, die wir natürlich nun bezahlen mußten. Von meinem Vater fehlten alle Nachrichten. Unser Leben wurde immer ärmlicher. Ich lief im Sommer barfuß und hatte nur leinene Hosen, ein Hemde und eine Weste. Gar bald war meine Mutter so weit, daß sie keine andern Kleidungsstücke besaß, als die, welche sie auf dem Leibe trug. Mochte sie diese auch noch so reinlich halten und noch so oft flicken, so konnte sie sich zuletzt doch mit ihnen nicht mehr Sonntags in der Kirche sehen lassen, und so mußte sie endlich auch den letzten Genuß, den letzten Trost, den sie bis dahin gehabt hatte, entbehren. [ . . . ]

So etwas ist in dem sonst so wohlthätigen Berlin möglich, wenn der Arme sich schämt zu betteln, und dazu konnte sich meine Mutter auch im tiefsten Elende nicht entschließen. Die sogenannten Bettelvögte waren ihr fürchterliche Menschen, und sie wäre vor Scham gestorben, hätte sie einer nur angerührt. [ . . . ]

Obgleich ich jetzt schon sieben Jahre alt war, konnte ich doch noch nicht lesen. Meine Mutter erhielt für mich den Eintritt in eine Armenschule; ich konnte sie aber nicht regelmäßig besuchen, weil ich meine Geschwister abwarten mußte; auch hatte ich wenig Lust zum Lernen. Es waren zwei Gebrüder, ich glaube Namens Jacob, welche die sehr zahlreich besetzte Schule hielten und von welcher jeder eine Abtheilung beschäftigte. Ich habe die Schule innerhalb vier Wochen etwa 14 Tage lang besucht. Was darin vorgenommen wurde, begriff ich nicht, und das »a, b, ab, b, a, ba« langweilte mich unendlich. [ . . . ]

[Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg wurde der Vater 1793 »Akzise-Aufseher«, also kleiner Steuerbeamter, in dem westpreußischen Städtchen Preußisch Friedland. Daß er zu trinken begann, wurde zu einer Belastung für die Familie. Karl Friedrich Klöden besuchte dort die Schule, deren Alltag er eingehend beschreibt. [ . . . ] Anfang 1796 wechselte der Vater mit seiner Familie auf die Stelle eines »Toreinnehmers« (ebenfalls ein unterer Steuerbeamter) in dem Städtchen Märkisch Friedland. Dort besuchte Karl Friedrich zunächst die Privatschule des zweiten Predigers, den man »Kaplan« nannte.]

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Meine Mutter hatte darauf gerechnet, daß die Versetzung meines Vaters in einen ganz anderen Wirkungskreis, das Herausreißen aus jener gefährlichen Umgebung vortheilhaft auf ihn wirken und seiner unseligen Neigung zum Trunke Einhalt thun werde. Sie hatte zu dem Ende nichts versäumt, um ihn an das Haus zu fesseln und ihm das Leben in demselben so angenehm wie möglich zu machen. Allein es war zu spät. Die Gewohnheit war zum zwingenden Bedürfniß geworden, und es ist das Furchtbare dieses Fehlers, daß er die Kraft, welche erforderlich ist, der Versuchung zu widerstehen, immer mehr und mehr schwächt. Vorstellungen, Bitten, Flehen, Thränen, Alles wurde verschwendet, um dem Uebel Einhalt zu thun. [ . . . ]

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