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Die Kindheit eines Jungens in Köln um 1810 (Rückblick)

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In einigen entlegenen Straßen, wie Diepengasse, Griechenmarkt, Löhrgasse, Entenpfuhl und Altengraben, wohin sich jedoch selten Jemand ohne Nothwendigkeit verlief, finden wir im Sommer ein Stück Italien, italienisches Straßen-Leben, den reichsten halb nackt, oder ganz adamitisch sich herumtummelnden Kindersegen. Vor den Thüren der niederen, hüttenähnlichen Häuser, in langen Reihen im zwanglosesten Negligé, die Spitzenklöppelerinnen, die »Wirkeschen«. Derber Scherz und Witz, die originellsten Lieder begleiten die künstliche Arbeit [ . . . ]

Die Erscheinung eines Fremden erregt Aufmerksamkeit. Er wird verspottet, verhöhnt, und weh’ ihm, läßt er sich mit diesen Weibern in Wortstreit ein, tritt er Einer zu nahe. »Dae kraeg si Fett«, wie der Kölner sagt [ . . . ]

Ein trauriges Bild »weißen Sclaventhums« waren die so genannten Wirkschulen, etwa fünfzig an der Zahl, in denen vielleicht 800 bis 1000 Mädchen, die für gewisse Jahre an die Vorsteherinnen dieser Schulen völlig verkauft waren, im Spitzenklöppeln unterrichtet wurden, der unverschämtesten, schnödesten Gewinnsucht ihre Jugend und ihre Gesundheit zum Opfer bringen mußten.


Das Innere der Häuser.

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Die Wohnstube des geringeren Bürgers, des Handwerkers ist meist, wenigstens im Winter, auch Küche und Werkstätte, wenn das Handwerk nicht größeren Raum erheischt. Er hat sonst nur die »Stuff« und die Kammer, wo die Familie schläft. Stühle und Sessel gehören zu den Seltenheiten, Truhen, in denen Alles aufbewahrt wird, bilden die Sitze [ . . . ]

In keiner »Stuff« (Stube) fehlt unter oder über dem Spiegel das Crucifix, unter demselben das Kammfutter, der große oder kleine »hinkende Bote« mit dem Aderlaß-Täfelchen, und hinter dem Spiegel, sind Kinder im Hause, die birke Juffer, die Ruthe für die Mädchen, und für die Knaben der Ohsepisel [Ochsenziemer] oder das Engkge Tau’s.

Die altkölnische Erziehung hielt es mit Jesus Sirach, der da spricht: »Wer seine Kinder liebt, schonet der Ruthe nicht!« Förmliche Prügel-Executionen ließ man durch die Alexianer-Brüder vornehmen, wenn irgend ein schon herangewachsener Sohn nicht ganz nach der elterlichen Pfeife tanzen wollte. Mit Grausen schlichen wir an einem Hause »unter Kästen« vorbei, wo, wie man erzählte, bei einer solchen exemplarischen Execution ein junger Mensch todt geprügelt worden, – und jetzt als Spuk umging [ . . . ]

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