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Kindheit in Rostock an der Ostsee, aus Sicht der Aufklärung und der rationalistischen Medizinwissenschaften (1807)

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Den etwas größern Kindern des gemeinen Mannes fehlt es nicht an Bewegung. Sie liegen beynahe den ganzen Tag auf der Straße und spielen unter einander. Die Aeltern erlauben ihnen das gern: weil sie dann ihre häuslichen Geschäffte ungestört verrichten können, und sich kaum anders um ihre Kinder bekümmern zu dürfen glauben, als wenn sie ein Geschrey auf der Straße hören, worauf sie gewöhnlich herbey laufen, und wenn ihre eigenen Kinder daran Theil nehmen, darein schelten, oder alles mit einer körperlichen Züchtigung auf der Straße abmachen. Aeltern von etwas feinerm Gefühle schicken ihre Kinder, sobald sie nur gehen können, in die kleinen Schulen, in der Meynung, daß sie dort unter Aufsicht sind, und ihnen selbst bey den häuslichen Geschäfften nicht zur Last fallen. Bey der Klasse von Müttern, die ohne alle weitere Unterstützung sich ihre Nahrungsmittel selbst herbeyschaffen und bereiten müssen, auch wohl außer ihrem Hause auf Arbeit gehen, kann man diesen Grund wohl gelten lassen. Aber wenn auch selbst Mütter aus den höhern Ständen ihre noch ganz kleinen Kinder gleich in die Schule schicken, um sie auf einige Stunden los zu werden und während der Zeit einmal frey athmen zu können: so weiß ich in der That nicht, was ich dazu sagen soll. Haben sie doch Domestiken, die ihnen zur Hand gehen können, und Zeit genug, ihre Vergnügungen abzuwarten: so sollte ich denken, sie müßten auch Zeit genug haben, auf ihre kleinen Kinder zu sehen. Welche Mutter wirklich aus dem Grunde ihre Kinder in die Schule schicket, um sich von ihrer Aufsicht einige Stunden dispensirt zu sehen, der werfe ich geradezu vor, daß sie keinen Begriff von Erziehung hat.

In den Schulen, die für solche kleine Kinder bestimmt sind, wird nun eigentlich gar nicht darauf gesehen, daß sie etwas lernen. Darum ist es den Aeltern eben nicht zu thun, und dieses tadle ich auch in dem Alter nicht. Aber nicht nur werden sie in solchen Schulen ganz von der ihnen so nöthigen Leibesbewegung abgehalten, und zur sitzenden Lebensart gewöhnt, welches nicht seyn sollte: sondern sie müssen noch überdem mehrere Stunden des Tages in einem engen Zimmer gedrängt sitzen, und eine eingeschlossene, verdorbene Luft einathmen; werden der Gefahr ausgesetzt, Ungeziefer zu bekommen, und sogar krank zu werden, wenn sie besonders aus der freyen Luft in diese engen, dunstigen Stuben kommen, wovon mir mehrere Beyspiele bekannt sind, oder sich zu erkälten, wenn die Witterung rauh und unangenehm ist. Von diesen Schulen aus verbreiten sich noch insgemein die ansteckenden Krankheiten, Blattern, Masern, Scharlachfieber, Keuchhusten, Krätze u. s. w., weil hier viele noch einer Ansteckung fähige Kinder unter andern sitzen, die ihnen das Miasma mittheilen. Dieses in die Schule Schicken der kleinen Kinder hat also viele und sehr wichtige Abfälle, unter welchen ich gegenwärtig nur besonders auf den Mangel an Bewegung aufmerksam machen will. Ich werde in der Folge auf diesen Gegenstand noch bey andern Gelegenheiten zurück kommen, und lasse es daher hier bey der angemerkten Erinnerung bewenden.

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