GHDI logo

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „Kritik der Verfassung Deutschlands”, unveröffentlichtes Manuskript (1800-1802)

Seite 6 von 9    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Gleich unabhängig vom Staat ist und ebenso ungleichförmig kann [seyn] die Form der Verwaltung überhaupt; alsdenn die Einrichtungen der Magistrate, die Rechte der Städte, und Stände u.s.w. alle diese Umstände sind nur relativ wichtig für den Staat, und für sein wahres Wesen ist die Form ihrer Organisation gleichgültig.

Die Ungleichheit der Abgaben der verschiedenen Klassen, nach ihrem materiellen Werthe noch mehr aber die Ungleichheit der ideellen Seite, nemlich der Rechte Pflichten hierin und ihres Ursprungs findet sich in allen europäischen Staaten; sowenig die durch die Ungleichheit des Reichthums entspringende Ungleichheit der Beyträge zu den Staatsausgaben den Staat sogar nicht hindert, daß die neuern Staaten darauf vielmehr beruhen [ . . . ].

In unsern Zeiten mag unter den Gliedern ein ebenso loser oder gar kein Zusammenhang statt finden, in Rücksicht auf Sitten, Bildung und Sprache; und die Identität derselben, dieser ehmalige Grundpfeiler der Verbindung eines Volks ist itzt zu den Zufälligkeiten zu zählen, deren Beschaffenheit eine Menge nicht hindert, eine Staatsgewalt auszumachen; Rom oder Athen und auch jeder moderne kleine Staat könnte nicht bestehen, wenn die vielen Sprachen, die im russischen Reiche gangbar sind, in seinem Umkreis gesprochen würden; ebenso wenig, wenn unter seinen Bürgern die Sitten so verschieden wären, als sie in jenem Reiche, oder sie und die Bildung es schon in jeder Hauptstadt eines grossen Landes sind. Die Verschiedenheit der Sprache und der Dialekte, [ . . . ] die Verschiedenheit der Sitten und der Bildung in den getrennten Ständen,[ . . . ] solche heterogene [ . . . ] Elementevermag [ . . . ] in den modernen Staaten Geist und Kunst der Staatsorganisationen zu überwältigen und zusammenzuhalten, [ . . . ].

Daß in der Religion, in demjenigen, worin sich das innerste Seyn der Menschen ausspricht, und [ . . . ] über die Ungleichheit Wandelbarkeit der übrigen Verhältnisse und Zustände Zutrauen zu einander zu haben und einer des andern sicher zu seyn, daß hierin wenigstens Identität sey, ist ebenfalls in neuern Staaten entbehrlich erfunden worden.

So wenig vorher und nachher bey der Absonderung in Völker die Gleichheit der Religionen die Kriege hinderte, und sie in Einen Staat band, so wenig reist in unsern Zeiten die Ungleichheit der Religion einen Staat auseinander. Die Staatsgewalt hat als reines Staatsrecht sich von der religiösen Gewalt und ihrem Rechte zu sondern, und für sich Bestand genug zu erhalten und sich so einzurichten gewußt, daß er der Kirche nicht bedarf und sie wieder in den Zustand der Trennung von sich gesetzt, den sie in ihrem Ursprunge von dem römischen Staate hatte.

Nach den Staatstheorieen freylich, welche in unsern Zeiten theils von seynwollenden Philosophen und Menschheitrechtelehrern aufgestellt, theils in ungeheuern politischen Experimenten realisirt worden sind, wird – nur das allerwichtigste, Sprache, Bildung, Sitten und Religion ausgenommen, – das übrige alles was wir von dem nothwendigen Begriff der Staatsgewalt ausgeschlossen haben der unmittelbaren Thätigkeit der höchsten Staatsgewalt unterworfen, und [zwar so,] daß es von ihr bestimmt, daß alle diese Seiten bis auf ihre kleinsten Fäden hinaus von ihr angezogen werden.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite