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Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „Kritik der Verfassung Deutschlands”, unveröffentlichtes Manuskript (1800-1802)

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Aus diesem eigenwilligen Thun, das allein Freyheit genannt wurde, bildeten sich Kraise von Gewalt über andere, nach Zufall und Charakter ohne Rüksicht auf ein Allgemeines, und mit wenig Einschränkung von dem, was man Staatsgewalt nennt; denn diß war im Gegensatz gegen die Einzelne fast gar nicht vorhanden.

Diese Kreise von Gewalt fixirte die fortgehende Zeit; die Theile der allgemeinen Staatsmacht wurden eine Mannichfaltigkeit von ausschliessendem vom Staate selbst unabhängigem und nach keiner Regel noch Grundsatz vertheiltem Eigenthum, diß mannichfaltige Eigenthum bildet nicht ein System von Rechten, sondern eine Sammlung ohne Princip, [ . . . ].

[ . . . ] Die politische Gewalten und Rechte sind nicht nach einer Organisation des Ganzen berechnete Staatsämter, die Leistungen und Pflichten des Einzelnen sind nicht nach dem Bedürfnisse des Ganzen bestimmt; sondern jedes einzelne Glied der politischen Hierarchie jedes Fürstenhaus jeder Stand, jede Stadt, Zunft u.s.w. alles, was Rechte oder Pflichten in Bezug auf den Staat hat, hat sie sich selbst erworben, und der Staat hat bei solcher Schmälerung seiner Macht keine andere Verrichtung als es zu bestätigen, daß seine Macht ihm entrissen wurde; so daß wenn der Staat alle Gewalt verliert, und doch der Besitz der Einzelnen auf der Macht des Staats beruht, – der Besitz derjenigen nothwendig sehr schwankend seyn muß, die keine andre Stütze haben als die Staatsmacht, die gleich Null ist.

Die Grundsätze des deutschen öffentlichen Rechts, sind daher nicht aus dem Begriffe eines Staats, oder dem Begriffe einer bestimmten Verfassung, einer Monarchie u.s.w. abzuleiten, und das deutsche Staatsrecht ist nicht eine Wissenschafft nach Grundsätzen, sondern ein Urbarium von den verschiedensten der nach Art des Privatrechts erworbenen Staatsrechten. Gesezgebende, gerichtliche, geistliche, militärische Gewalt sind auf die regelloseste Art und in den ungleichartigsten Portionen gemengt, getheilt und verbunden, gerade so mannichfaltig als das Eigenthum der Privatleute.

Durch ReichstagsAbschiede, FriedensSchlüsse, Wahlkapitulationen, Hausverträge, Reichsgerichtliche Entscheidungen u.s.w. ist das politische Eigenthum eines jeden Gliedes des deutschen Staatskörpers aufs sorgfältigste bestimmt. Die Sorgsamkeit dafür hat sich mit der pünktlichsten Religiosität auf alles und jedes erstrekt, und auf scheinbar unbedeutende Dinge, z. B. Titulatur, Ordnung im Gehen und Sitzen, Farbe mancher Meubles u.s.w. jahrelange Bemühungen verwandt. [ . . . ] Das deutsche Reich ist im Recht, wie das Reich der Natur in seinen Produktionen, unergründlich im Grossen, und unerschöpflich im Kleinen, und dise Seite ist es, welche die Eingeweihten in die unendliche Details der Rechte mit jenem Staunen vor der Ehrwürdigkeit des deutschen Staatskörpers, und mit jener Bewunderung für diß System der durchgeführtesten Gerechtigkeit erfüllt.

Diese Gerechtigkeit jeden Theil in seiner Trennung vom Staat zu erhalten und die nothwendigen Ansprüche des Staats an das einzelne Glied desselben stehen in dem vollkommensten Widerspruche. Der Staat erfodert einen allgemeinen Mittelpunkt, (einen Monarchen und Stände) worin sich die verschiedenen Gewalten, Verhältnisse zu auswärtigen Mächten, Kriegsmacht, Finanzen die hierauf Bezug haben u.s.w. vereinigten, einen Mittelpunkt [der] zu der Direktion auch die nothwendige Macht hätte, sich und seine Beschlüsse zu behaupten und die einzelne Theile in der Abhängigkeit von sich zu erhalten. [ . . . ] Das deutsche Staatsgebaüde ist nichts andres als die Summe der Rechte, welche die einzelnen Theile dem Ganzen entzogen haben. [ . . . ]

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