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Kaiserin Maria Theresia über den Charakter Josephs II., ihres Sohnes und Mitregenten (14. September 1776)

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Nach dieser ganzen langen Predigt, die Du meiner nur zu großen Liebe für Dich und meine Länder zugute halten wirst, sollst Du von mir mit all Deinen Talenten und Deinem einnehmenden Wesen einen Vergleich hören. Du bist eine Kokette der Geistreichelei. Urteilslos läufst Du ihr nach, wo Du sie zu finden hoffst. Ein Witzwort, ein geistreicher Ausspruch – das nimmt Dich ganz ein, ob in einem Buch oder bei einer Person. Du wendest sie bei der ersten Gelegenheit an, ohne reiflich zu bedenken, ob sie am Platze sind, beinahe wie die Elisabeth mit ihrer Schönheit; ob sie dem Schweizer oder dem Fürsten gefällt, sie ist ohne jeden weiteren Anspruch zufrieden.

Zum Schlusse fasse ich Dich beim Kopf, küsse Dich innig und wünsche, daß Du mich den Ärger dieser Schimpfrede nicht entgelten läßt in Hinblick auf die Quelle, aus der sie stammt. Ich wünsche ja nur, Dich von aller Welt geachtet und geliebt zu sehen, wie Du es verdienst, und daß Du mich stets für Deine gute alte, treue Mama hältst.



Quelle: Maria Theresia und Joseph II. Ihre Correspondenz, Bd. 1. S. 199ff. [Der Brief erscheint hier im französischen Original.]

Deutsche Übersetzung: Maria Theresia an Josef II Schönbrunn, 14. September 1766. Aus dem Briefwechsel Maria Theresias mit Josef II von [Kaiserin von Österreich] Maria Theresia. Übersetzt [aus dem Französischen ins Deutsche] und herausgegeben unter Mitwirkung von Direktor Dr. Moritz v. Landwehr und von Prof. Dr. S. Spitzer. Schulwissenschaftlicher Verlag U. Haase. Leipzig, Prag Annahof, Wien, 1917, S. 14-19.

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