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Kaiser Joseph II. zur Struktur und politischen Lage der österreichischen Monarchie und des Heiligen Römischen Reiches (1767/68)

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Sie sehen durch die ausführliche Beschreibung, die ich Ihnen eben von den wichtigsten Gliedern, die unser Corpus Germanicum zusammensetzen, gegeben habe, daß das Bild, das ich ihnen zu Anfang des Ganzen gezeichnet habe, nicht übertrieben ist, und daß ein so irregulärer Körper nur durch ein Wunder oder besser durch die gegenseitige Eifersucht der auswärtigen Mächte noch fortbesteht. Das beste Mittel gegen so viel Unordnung würde eine gute Ständige Wahlkapitulation sein, von der schon früher beim Reichstag die Rede gewesen ist und schon ein ausgearbeiteter Entwurf vorhanden ist, die, ohne einer vernünftigen Freiheit der Stände Eintragung zu tun, dem Kaiser wenigstens die Macht wiedergäbe, die er braucht, um die Gesetze und die gute Ordnung zu wahren und die Schwachen gegen die Bedrückung der Mächtigen zu schützen. Aber diese Saite kann man unter den gegenwärtigen kritischen Umständen nicht anrühren. Man muß glücklichere Zeiten abwarten, um davon zu reden, und während des Abwartens muß man, wie ich schon gesagt habe, versuchen, die dringende Notwendigkeit einigen der mächtigsten Häuser spürbar zu machen – die Schwachen spüren sie nur allzu sehr durch häufig sehr empfindliche Erfahrung – sie alle aber zu überzeugen, daß man von nichts anderem beseelt ist als von dem Wunsche, das Gute zu tun und nicht auf ihre Kosten seine Macht zu erweitern.




Quelle: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien: Familienarchiv, Sammelbände, Kasten 88.

Deutsche Übersetzung: Hermann Conrad, „Verfassung und Politische Lage des Reiches in einer Denkschrift Josephs II. von 1767/68,“ in Louis Carlen und Fritz Steinegger, Hg. Festschrift Nikolaus Grass zum 60. Geburtstag, dargebracht von Fachgenossen, Freunden und Schülern. Bd. 1: Abendländische und deutsche Rechtsgeschichte, Geschichte und Recht der Kirche, Geschichte und Recht Österreichs. Innsbruck und München: Universitätsverlag Wagner, 1974, S. 161-85. [Text der Denkschrift: S. 165-85. Aus dem Französisch übersetzt von Hermann Conrad und Thea von der Lieck-Buyken.]

Abgedruckt in Helmut Neuhaus, Hg. Zeitalter des Absolutismus 1648-1789. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Herausgegeben von Rainer A. Müller, Band 5. Stuttgart: P. Reclam, 1997, S. 130-40.

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