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Kaiser Joseph II. zur Struktur und politischen Lage der österreichischen Monarchie und des Heiligen Römischen Reiches (1767/68)

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Wie Sie wissen, hängt von den beiden großen Gerichtshöfen des Reiches nur der Reichshofrat unmittelbar vom Kaiser ab, während das kaiserliche Kammergericht zu Wetzlar sich fast vollständig in der Abhängigkeit von den Ständen befindet. Darum hat man die erste Sorge der Reform des ersteren dieser Gerichtshöfe zugewandt, wo sich eine große Zahl von Mißbräuchen sowie Mängel sachlicher und personeller Art eingeschlichen hatte, die dazu geführt hatten, daß bei den Ständen des Reiches, selbst bei den wohlwollendsten, fast jedes Vertrauen in ihn verloren ging, und die oft durch die Wahrheit sehr schlecht begründete, aber nicht weniger glaubwürdige Vorwände für die häufigen Rekurse an den Reichstag lieferten, ein Mittel, jüngst erfunden, um alle Urteile der Reichsgerichte, selbst die gerechtesten, zu umgehen. Nach einer langen und ernsthaften Beratung hat man versucht, die hauptsächlichsten und schädlichsten dieser Mängel abzustellen, und zwar durch ein Dekret, das bei der Wiedereinführung der Mitglieder, aus denen sich dieses Gericht zusammensetzt, veröffentlicht wurde. Diesen Akt hatte ich absichtlich solange hinausgeschoben, bis alles für eine so notwendige Reform vorbereitet war. Diese Ordonnance, die gedruckt und in jedermanns Hand ist, hat einen glücklichen Erfolg im Reiche gehabt. Neben der allgemeinen Zustimmung hat dies irgendwie das verlorene Vertrauen wieder aufleben lassen. Es würde schon viel größere Fortschritte gegeben haben, wenn es ebenso leicht wäre, die personellen Mängel abzustellen, und wenn die besten Gesetze nicht manchmal durch ihre Nichtausführung unwirksam blieben. Dies ist noch täglich einer von den Gegenständen meiner Aufmerksamkeit und ein Teil der sehr undankbaren Arbeit, die mit der kaiserlichen Würde verknüpft ist. Unparteilichkeit ist die Grundlage einer höchsten Justizbehörde. Daher habe ich alle Geschenke, gleich unter welchem Titel, auch wenn sie früher üblich waren, sehr streng verboten und gegen diejenigen, die dagegen verstoßen, die Strafe der Kassation verhängt. Zur schnelleren Abfertigung der Streitparteien hat man einen Tag mehr in der Woche gegeben, eine Sitzung wöchentlich selbst am Nachmittag, und die Beratung soll täglich eine Stunde länger dauern als früher. Außerdem hat man, soviel wie möglich, die Art des Schriftsatzes und des Referates wie auch die Art des Votums verbessert und verkürzt. Doch alles hängt von der weisen Leitung des Präsidenten ab, der allein den Erfolg und die Beobachtung der erlassenen Gesetze herbeiführen kann.

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