GHDI logo

Samuel Pufendorf, Die Verfassung des deutschen Reiches (1667)

Seite 3 von 5    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Deutschland ist deswegen so schwach, weil bei ihm zwei Übel zusammenkommen: eine schlecht eingerichtete Monarchie und zugleich ein ungeordneter Staatenbund; das Hauptübel ist, daß auf Deutschland keine dieser Staatsformen paßt. Der äußere Schein und die leeren Formen deuten auf eine Monarchie hin. In der Frühzeit war der König tatsächlich, was sein Titel besagte. Nachdem sein Einfluß gesunken und die Macht und Freiheit der Stände gestiegen war, ist kaum ein Schatten der monarchischen Herrschaft geblieben, den man etwa bei den Führern eines Staatenbundes wahrnehmen kann. So wird der Reichskörper durch ein vernichtendes Tauziehen zwischen den Interessen des Kaisers und der Stände erschüttert: jener erstrebt mit allen Mitteln die Wiederherstellung der alten monarchischen Rechte, diese verteidigen standhaft die errungene Machtstellung. Die Folgen sind fortwährend Argwohn, Mißtrauen und verborgene Ränke, um kaiserlichen Machtzuwachs zu verhindern oder ständische Macht zu brechen. Ferner ist das sonst so starke Reich unfähig zu Angriff und Eroberung, weil Neuerwerbungen weder dem Kaiser von den Ständen zugestanden werden noch gleichmäßig unter allen verteilt werden können. Wie monströs ist schon allein dies, daß sich Haupt und Glieder wie zwei Parteien gegenüberstehen.

Außerdem herrschen zwischen den Ständen selbst aus verschiedenen Gründen mannigfache Gegensätze, die Deutschland nicht einmal als geordneten Staatenbund erscheinen lassen. Die Stände haben unterschiedliche, schwer miteinander vereinbare Staatsformen, Freistaaten mengen sich unter die Monarchien. Der Wohlstand der durch den Handel reich gewordenen Städte erregt den Neid der Fürsten, zumal er teilweise aus ihren Ländern den Städten zugeflossen ist und es sich nicht leugnen läßt, daß manche Städte wie Schmarotzer durch Auszehrung der umliegenden Fürstentümer groß geworden sind. Der Adel verachtet die Bürger, die oft nicht weniger stolz auf ihr Geld sind als jener auf seine Ahnen oder verarmten Besitzungen. Einige Fürsten erblicken in den Städten gleichsam einen Vorwurf gegen ihre Herrschaft, und sie finden, daß die Untertanen ihren Status wegen des Vergleichs mit der benachbarten Freiheit widerwilliger ertragen. So entstehen überall Neid, Verachtung, Kränkungen, Argwohn und verborgene Ränke. Noch heftiger und offenkundiger herrscht das alles zwischen den Bischöfen und den Städten, in denen ihre Kathedralkirchen liegen. Selbst auf dem Reichstag zeigen die Fürsten unverhohlen ihre Abneigung gegen das Kollegium der Städte; der Kaiser dagegen ist den Städten gewogen, weil er auf sie einen größeren Einfluß hat als auf die anderen Stände.

Aber auch die geistlichen und die weltlichen Fürsten sind einander nicht wohlgesonnen. Im Fürstenstand hat die Geistlichkeit den höheren Rang wegen der Heiligkeit ihres Amtes und weil sich zweifellos der Geist Gottes reichlicher auf eine Glatze ergießt als auf ungeschorene Häupter. Deshalb hatte sie im barbarischen Mittelalter das größte Ansehen im Staat. Den weltlichen Fürsten aber ist es peinlich, zusehen zu müssen, wie den meist aus dem niederen Adel stammenden Geistlichen so plötzlich eine ebenbürtige oder höhere Würde zukommt und sie sich auf die Gnade Gottes berufen, zumal sie ihre Würde nicht auf ihre Nachkommen vererben können und ihre Familie in ihrem früheren Stand verbleibt. Freilich sorgen auch viele Bischöfe nach dem Vorbild des Heiligen Vaters reichlich für ihre Verwandten durch kirchliche Pfründen und Schenkungen. Andererseits haben auch die geistlichen Fürsten gerechte Gründe für ihren Zorn auf die weltlichen; denn sie nötigten sie, ihren Wanst fester einzuschnüren; darüber unten mehr.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite