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Das Berlin-Ultimatum (27. November 1958)

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Die Sowjetregierung versteht voll und ganz den Standpunkt der DDR, die die demokratischen und sozialen Errungenschaften der deutschen Werktätigen nicht annullieren will, die nicht will, daß das Eigentum der Kapitalisten und Großgrundbesitzer wiederhergestellt wird und daß dem Volk der Boden, die Fabriken, die Werke abgenommen werden und daß das militaristische Regime auf die DDR ausgedehnt wird. Die in diesen Tagen durchgeführten Wahlen in die Volkskammer und die örtlichen Machtorgane der DDR sind ein neues eindruckvolles Zeugnis dafür, daß die Bevölkerung der DDR die der Erhaltung des Friedens und der Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlicher und demokratischer Grundlage geltende Politik ihrer Regierung einmütig unterstützt und von Entschlossenheit erfüllt ist, ihre sozialistischen Errungenschaften zu verteidigen. Die Sowjetunion gibt ihrer vollen Solidarität mit der DDR Ausdruck, die fest ihre legitimen Rechte verficht.

Sieht man der Wahrheit ins Auge, so muß man sagen, daß auch andere Länder keinen Eifer in der Unterstützung der Pläne der Bundesrepublik Deutschland zeigen, die auf gewaltsame Vereinigung Deutschlands gerichtet sind. Dies ist auch verständlich, da die den Völkern, darunter Frankreichs und Großbritanniens, durch Hitlerdeutschland zugefügten Wunden noch frisch sind.

Bei weitem noch nicht getilgt sind die Spuren des vergangenen Krieges, der über die Dörfer und Städte Frankreichs brauste. Noch nicht weggeräumt sind die Zerstörungen, die der Hauptstadt und vielen Städten Englands durch die Bombardements der Hitlerschen Luftwaffe zugefügt wurden, und Millionen Engländer können das tragische Schicksal Coventrys nicht vergessen. Den Völkern, die der Okkupation durch die Hitlerarmee unterworfen waren, sind diese Gefühle nah und verständlich.

Sie haben Millionen Menschen verloren, die getötet und zu Tode gemartert wurden: auf ihrem Boden hat es viele Tausende zerstörte Städte und eingeäscherte Dörfer gegeben. Aus dem Gedächtnis der Sowjetmenschen wird niemals Stalingrad schwinden: niemals werden die Polen Warschau und wird das tschechoslowakische Volk Lidice vergessen. Auch amerikanische Familien mußten die Bitternis des Verlustes ihrer Verwandten und Nächsten kennenlernen. Deutschland hat zweimal Weltkriege entfesselt und beide Male in den Krieg die Vereinigten Staaten von Amerika gezogen, deren Söhne genötigt waren, auf Territorien, die Tausende Kilometer von den amerikanischen Küsten entfernt sind, ihr Blut hinzugeben.

Eingedenk all dessen, können und werden die Völker eine Vereinigung Deutschlands auf militaristischer Grundlage nicht zulassen.

Es gibt ein anderes Programm der Vereinigung Deutschlands; es wird von der DDR vertreten. Es ist dies das Programm der Vereinigung Deutschlands als friedliebender und demokratischer Staat, und dieses Programm kann von den Völkern nur begrüßt werden. Es ist nur ein Weg zu seiner Verwirklichung vorhanden – Übereinkommen und Kontakte zwischen den beiden deutschen Staaten, Schaffung einer deutschen Konföderation. Ohne die sozialen Prinzipien der DDR und der Bundesrepublik Deutschland anzutasten, würde die Verwirklichung dieses Vorschlags die Bemühungen ihrer Regierungen und Parlamente in die einheitliche Bahn friedliebender Politik lenken und die allmähliche Annäherung und das Zusammenwachsen der zwei deutschen Staaten verbürgen.

Die Sowjetunion unterstützt, ebenso wie die anderen an der Festigung des Friedens in Europa interessierten Staaten, die Vorschläge der DDR, die auf die friedliche Vereinigung Deutschlands abzielen. Die Regierung der UdSSR bedauert, daß alle dahingehenden Bemühungen bislang keine positiven Ergebnisse erbracht haben, da die Regierungen der USA und der anderen NATO-Länder und hauptsächlich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland in Wirklichkeit weder Sorge für den Abschluß eines Friedensvertrags, noch Sorge für die Vereinigung Deutschlands an den Tag legen.

Die Politik der USA, Großbritanniens und Frankreichs, die auf die Militarisierung Westdeutschlands und seine Hineinziehung in den militärischen Block der Westmächte abgestellt ist, hat die Erfüllung auch jener Bestimmungen des Potsdamer Abkommens vereitelt, die die Einheit Deutschlands betreffen.

Faktisch wird heute von allen alliierten Abkommen über Deutschland nur ein einziges eingehalten: das Abkommen über den sogenannten vierseitigen Status Berlins. Gestützt auf diesen Status wirtschaften die drei Westmächte in Westberlin und verwandeln es in eine Art Staat im Staate, entfalten von Westberlin aus eine Wühltätigkeit gegen die DDR, die Sowjetunion und die anderen Teilnehmerländer des Warschauer Vertrags. Die USA, England und Frankreich bedienen sich unbehindert für die Verbindung mit Westberlin Kommunikationen, die durch das Territorium und den Luftraum der DDR verlaufen, welche sie nicht einmal anerkennen wollen.

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