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Der Theologe Richard Schröder ruft zu einem demokratischen Patriotismus auf (1993)

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Daß hier vom Kulturbegriff Deutschland die Rede ist, wird auf Widerspruch derer stoßen, die sich für eine multikulturelle Gesellschaft einsetzen. Wie alle Schlagworte ist auch dieses mehrdeutig. Gemeint sein kann eine weltoffene Gesellschaft, die gastfrei ist und offen für Zuwanderer. Weltoffenheit ist Deutschland durch seine neue Mittellage, weil sich der Osten des Westens und der Westen des Ostens vereinigt haben, vorgezeichnet. Das Wort „multikulturell“ heißt aber wörtlich etwas anderes, nämlich eine Gesellschaft vieler Kulturen. Kulturen können nur von Gemeinschaften und durch Weitergabe an die nächste Generation erhalten werden. Sie müßten also je eigene Siedlungsräume haben, mit Schulen und Behörden ihrer Sprache. Die Rechte nationaler Minderheiten schützen solche Bedingungen, unter denen eine Kultur fortbestehen kann. Wenn das nicht gemeint ist, sollte man auch das Wort nicht gebrauchen. Gemeint sein dürfte doch zumeist, daß Zuwanderer in Deutschland ihrer mitgebrachten kulturellen Besonderheiten wegen nicht diskriminiert werden. Trotzdem kann erwartet werden, daß sie sich in dieser Gesellschaft nicht isolieren, sondern integrieren. Das heißt z. B., daß es sogar erwünscht ist, wenn die nächste Generation fließend deutsch spricht und als islamische Deutsche oder schwarze Deutsche voll akzeptiert sind. Das wird die Kultur dieser Gesellschaft verändern. Wir werden diese Veränderungen vernünftig zu gestalten haben. Der Prozeß wird aber die Verständigungsprobleme in unserer Gesellschaft vergrößern.

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Entnommen aus: Richard Schröder, Deutschland, schwierig Vaterland (1993), HERDER spektrum, Bd. 4160, S. 19-25.

© Verlag Herder, Freiburg im Breisgau, 3. Auflage 1995.

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