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Analyse des amerikanischen Außenministeriums zur sowjetischen Berlin-Note (7. Januar 1959)

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Am 31. Oktober 1939 faßte Molotov die sowjetische Beurteilung der internationalen Lage in ungewöhnlich offenherziger Weise zusammen. Er sagte:

Doch ein schneller Schlag gegen Polen, zuerst durch die deutsche und dann durch die Rote Armee, und nichts blieb übrig von diesem Wechselbalg des Versailler Vertrages, dessen Existenz auf der Unterdrückung nichtpolnischer Minderheiten beruhte.
In den letzten Monaten haben Begriffe wie «Aggressor» und «Aggression» einen neuen konkreten Inhalt, eine neue Bedeutung bekommen. Es ist unschwer einzusehen, daß wir diese Begriffe nicht mehr in demselben Sinne wie bis vor etwa drei oder vier Monaten anwenden können.
Heute befindet sich, was die europäischen Großmächte betrifft, Deutschland in der Position eines Staates, der die baldmöglichste Beendigung des Krieges und den Frieden anstrebt, während Großbritannien und Frankreich, die gestern noch über die Aggression zeterten, heute für die Fortsetzung des Krieges und gegen den Friedensschluß sind. Wie man sieht, ist ein Rollenwechsel im Gange.
Die Bemühungen der britischen und der französischen Regierung, ihre neue Position mit dem Hinweis auf ihre den Polen gemachten Zusagen zu rechtfertigen, sind selbstverständlich bare Spiegelfechterei. Jedermann sieht ein, daß eine Wiederherstellung des alten Polen nicht in Frage kommt [ . . . ] Der wahre Beweggrund des anglo-französischen Krieges gegen Deutschland ist nicht, daß die Briten und Franzosen die Wiederherstellung des alten Polen gelobt und natürlich auch nicht, daß sie beschlossen haben, für die Demokratie in den Kampf zu ziehen. Die herrschenden Kreise Englands und Frankreichs haben natürlich andere und naheliegendere Motive, um gegen Deutschland zum Kriege anzutreten.
Diese Motive wurzeln nicht in einer Ideologie, sondern in ihren durch und durch materiellen Interessen, die sie als große Kolonialmächte haben.
Die Angst vor dem Verlust ihrer Vormachtstellung in der Welt ist es, die den herrschenden Kreisen Großbritanniens und Frankreichs die Politik der Anfachung des Krieges gegen Deutschland diktiert. Somit ist der imperialistische Charakter dieses Krieges für jeden offenkundig, der sich an die Realitäten halten will und nicht die Augen vor den Tatsachen verschließt [ . . . ]
Für einen derartigen Krieg gibt es jedoch keinerlei Rechtfertigung. Man kann die Ideologie des Hitlerismus billigen oder ablehnen genau wie jedes andere ideologische System; aber das ist eine Frage der politischen Anschauungen.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und den anderen bürgerlichen Staaten Westeuropas waren in den letzten zwei Jahrzehnten in erster Linie von dem Bemühen Deutschlands bestimmt, die Ketten des Versailler Vertrages zu zerbrechen, dessen Urheber Großbritannien und Frankreich unter aktiver Mitwirkung der Vereinigten Staaten waren. Daraus hat sich letzten Endes der jetzige Krieg in Europa entwickelt.

Am 28. September 1939 schloß das Deutsche Reich eine Reihe von Verträgen mit der UdSSR, wobei in Geheimprotokollen die Teilung Polens formell geregelt und Litauen im Austausch für eine «Grenzberichtigung» zugunsten Deutschlands der sowjetischen Einflußsphäre zugeteilt wurde.

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