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Der aktuelle Stand der Entnazifizierung (31. Dezember 1950)

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Es stimmt, dass bei der Anwendung des Gesetzes einige Schwächen offensichtlich geworden sind. Es wird beispielsweise heute generell eingestanden, dass es klüger gewesen wäre, die bestrafenden Aspekte des Programms schneller und effektiver auf die tatsächlichen Aktivisten anzuwenden und die breite Masse der unbedeutenderen Nazis nachsichtiger zu behandeln. Tatsächlich wurde bald erkannt, dass die Bandbreite der Verfahren zu ausgedehnt war. Das natürliche Verlangen der Deutschen bestand darin, das Stigma von den Unschuldigen sowie den nominellen Ex-Nazis so schnell wie möglich zu entfernen. Dies verzögerte notwendigerweise die Verfahren der schwerer Beschuldigten, während die Gerichte sich gleichzeitig in einer Masse unbedeutender Fälle festfuhren. Angesichts dieser Erkenntnis wurden Anstrengungen unternommen, um die Bearbeitung der geringfügigen Fälle zu beschleunigen. Die 1946 erlassenen Amnestien halfen dabei. Ein „Schnellverfahren“, das 1948 eingeführt wurde, um die vielen Fälle der als Mitläufer klassifizierten Personen abzuarbeiten, erlaubte es dem Staatsanwalt, auf der Grundlage schriftlicher Beweise zu entscheiden, ob der Angeklagte ein Mitläufer war oder nicht und falls dem so war, eine Geldstrafe anzusetzen und den Angeklagten ohne öffentliches Verfahren davon zu benachrichtigen. War der Angeklagte damit nicht zufriedengestellt, konnte er gegen die Entscheidung Berufung einlegen. Dies machte es möglich, die geringeren Fälle schneller abzuhandeln, mit dem Ziel, den aufwendigeren und schwierigeren Fällen der Hauptschuldigen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Trotz dieser Maßnahmen wurde das Verfahren vieler hochrangiger Nazis so lange verzögert, dass sie von der unvermeidbaren Veränderung der Befindlichkeit unter der Bevölkerung profitierten. Es stimmt tatsächlich, dass zu dem Zeitpunkt, als die schwerwiegenderen Fälle zur Verhandlung kamen, die Deutschen der ganzen Sache zu müde waren, als dass es sie noch interessierte, ob ihnen Gerechtigkeit geschah oder nicht.

Ein weiterer Punkt, an dem sich Kritiker oft aufhalten, ist die angebliche Tendenz der Entnazifizierungsgerichte „große Nazis“ zu entlasten, während sie einigen kleineren Verbrechern strenge Strafen oder Ausschlüsse auferlegten. Zweifelsohne gab es einige Fälle solcher Diskriminierung. Diese Kritik repräsentiert jedoch nur einen Teil der Wahrheit.

Der erwähnte „große Nazi“ war in manchen Fällen ein einflussreicher Mann, vermutlich ein überzeugter Nazi, der der Partei große Spenden gab und seine Angestellten zum Parteieintritt drängte. Er könnte jedoch ein gütiger Arbeitgeber gewesen sein und jemand, der niemals einen anderen verfolgte. Als er nun vor seinesgleichen und seinen Nachbarn stand, die zum Gericht gehörten, hatten diese Leute keine Beschwerden gegen ihn. Sie beurteilten ihn nicht nach seinen ideologischen Überzeugungen, sondern nach seinem alltäglichen Handeln, das aus ihrer Sicht für ihn sprach. Der „kleine Nazi“ auf der anderen Seite, der ein Schuster, ein Postbote oder ein kleiner Vorarbeiter gewesen sein mag und der schwere Strafen erhielt und oft von den Kritikern angeführt wird, kann ein fanatischer Nazi gewesen sein. Er könnte seine Nachbarn bei der Gestapo denunziert haben, zu den „Gangstern“ der Gemeinde gehört , die Verhaftung seiner Nachbarn, ihre Internierung in Konzentrationslagern oder die Zerstörung ihres Besitzes verursacht haben. Wenn ein solcher „kleiner Nazi“ vor einem Gericht stand, dass sich aus seinen Nachbarn zusammensetzte, wurde ihm eine schwerere Strafe zuteil. Es war von diesen Bauern, Handwerkern und alltäglichen Leuten zu viel erwartet, zu schlussfolgern, dass ohne den gütigen „großen Nazi“ mit seinen großen Parteispenden die Gangster und die Gestapo nicht hatten gedeihen können.

Die heutige Kritik an dem Gesetz basiert jedoch auf dem rückblickenden Wissen. Jedenfalls muss dieser Nachteil des Gesetzes, wenn es ein solcher war, den Vorteilen gegenübergestellt werden, die daraus entstanden sind, dass es die lokale Bevölkerung überall in der Zone dazu gezwungen hat, aktiv zu überprüfen, was während der Nazizeit geschehen ist.

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