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Franz Rehbein, Landarbeiter (um 1890)

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Die erste Arbeit des Maschinenmeisters am Morgen ist, daß er jedem seiner Leute einen »groten Kööm« einschenkt. Der Fusel muß die infolge der kurzen Nachtruhe erschlaffte Energie wieder beleben. Und wirklich, das Gesöff tut Wunder. Hat erst jeder auf den nüchternen Magen einen gehörigen Kümmel hinter die Binde gegossen, so erneuern sich zusehends die trägen Lebensgeister, und mit dem Brummen der Dreschtrommel verrichtet alles ganz mechanisch seine Arbeit wie am vorigen Tage: die Zuschmeißer werfen die Garben nach der Maschine, die Bandschneider ziehen ihre Messer durch die Garbenbänder, die Einleger lassen die losen Garben durch die Trommel gleiten, die Binder schnüren das ausgedroschene Stroh in Bunde, die Kornträger schleppen wie Automaten Sack auf Sack nach dem Boden, der »Kaffmajor« windet sich mit einem vollen Laken durch das Gewühl, und auf dem Hümpel hebt sich Bund auf Bund in regelmäßiger Reihenfolge. Endlich graut der Morgen, die trüben Öllaternen werden verlöscht, ein Pfiff ruft die Leute zur Frühkost: die ersten zwei Stunden des neuen Tages hat man hinter sich.

Nach 20 Minuten ist wieder alles an seinem Platze, und nun geht es in ununterbrochener Tätigkeit, höchstens mit einer kurzen Schmierpause dazwischen, bis zum Mittag. Hastig wird alsdann das Essen gegabelt und gelöffelt, denn kaum hat man den letzten Happen hinuntergewürgt, so pfeift’s auch schon wieder zur Arbeit. So viel Zeit, um seinen Löffel abzuwaschen, hat man nicht; man kann ihn nur ablecken oder mit knapper Not am Zipfel des staubigen Kittels abwischen. Um 4 Uhr ist Vesper, und Feierabend –? nun, das weiß nur der Maschinenmeister.

So wiederholt sich das Spiel einen Tag wie den andern. Da auch meistens des Sonntags gearbeitet wird, so kann es passen, daß man drei Wochen in einer Tour in Staub und Dreck abreißt, ohne sich auch nur ein einziges Mal richtig zu waschen oder in einem Bette auszuruhen. Riskiert man es aber doch einmal, den Kopf in einen Eimer Wasser zu stecken, so muß man sich in der Regel an seinem eigenen Kittel oder an einem alten Kornsack abtrocken; denn ein Handtuch geben die Bauern dazu nicht her, das ist ihnen zu schade für die Leute. Schließlich befindet man sich in einer Verfassung, daß einem selbst der schmierigste Zigeuner noch wie ein Edelmensch erscheint.



Quelle: Franz Rehbein, Das Leben eines Landarbeiters (orig. 1911), herausgegeben von Urs J. Diederichs und Holger Rüdel. Hamburg: Christians, 1987, S. 253-64.

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