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Richard Wagner, Was ist Deutsch? (1865/1878)

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Doch Bachs Geist, der deutsche Geist, trat aus dem Mysterium der wunderbarsten Musik, seiner Neugeburtsstätte, hervor. Als Goethes »Götz« erschien, jubelte es auf: »das ist deutsch!« Und der sich erkennende Deutsche verstand es nun auch, sich und der Welt zu zeigen, was Shakespeare sei, den sein eigenes Volk nicht verstand; er entdeckte der Welt, was die Antike sei, er zeigte dem menschlichen Geiste, was die Natur und die Welt sei. Diese Taten vollbrachte der deutsche Geist aus sich, aus seinem innersten Verlangen, sich seiner bewußt zu werden. Und dieses Bewußtsein sagte ihm, was er zum ersten Male der Welt verkünden konnte, daß das Schöne und Edle nicht um des Vorteils, ja selbst nicht um des Ruhmes und der Anerkennung willen in die Welt tritt*: und alles, was im Sinne dieser Lehre gewirkt wird, ist »deutsch«, und deshalb ist der Deutsche groß; und nur, was in diesem Sinne gewirkt wird, kann zur Größe Deutschlands führen.

Zur Pflege des deutschen Geistes, zur Größe des deutschen Volkes kann daher nichts führen als sein wahrhaftes Verständnis von seiten der Regierenden. Das deutsche Volk hat seine Wiedergeburt, die Entwicklung seiner höchsten Fähigkeiten, durch seinen konservativen Sinn, sein inniges Haften an sich, seiner Eigentümlichkeit erreicht: es hat für das Bestehen seiner Fürsten sich dereinst verblutet. Es ist jetzt an diesen, dem deutschen Volke zu zeigen, daß sie zu ihm gehören; und da, wo der deutsche Geist die Tat der Wiedergeburt des Volkes vollbrachte, da ist der Bereich, auf welchem zunächst auch die Fürsten sich dem Volke neu vertraut zu machen haben. Es ist die höchste Zeit, daß die Fürsten sich zu dieser Wiedertaufe wenden: die Gefahr, in welcher die ganze deutsche Öffentlichkeit steht, habe ich angedeutet. Wehe uns und der Welt, wenn diesmal das Volk gerettet wäre, aber der deutsche Geist aus der Welt schwände! –

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Die »Demokratie« ist in Deutschland ein durchaus übersetztes Wesen. Sie existiert nur in der »Presse«, und was diese deutsche Presse ist, darüber muß man sich eben klar werden. Das Widerwärtige ist nun aber, daß dem verkannten und verletzten deutschen Volksgeiste diese übersetzte französisch-jüdisch-deutsche Demokratie wirklich Anhalt, Vorwand und eine täuschende Umkleidung entnehmen konnte. Um Anhang im Volke zu haben, gebärdete sich die »Demokratie« deutsch und »Deutschtum«, »deutscher Geist«, »deutsche Redlichkeit«, »deutsche Freiheit«, »deutsche Sittlichkeit« wurden nun Schlagwörter, die niemanden mehr anwidern konnten als den, der wirkliche deutsche Bildung in sich hatte, und nun mit Trauer der sonderbaren Komödie zusehen mußte, wie Agitatoren aus einem nichtdeutschen Volksstamme für ihn plädierten, ohne den Verteidigten auch nur zu Worte kommen zu lassen. Die erstaunliche Erfolglosigkeit der so lärmenden Bewegung von 1848 erklärt sich leicht aus diesem seltsamen Umstande, daß der eigentliche wahrhafte Deutsche sich und seinen Namen so plötzlich von einer Menschenart vertreten fand, die ihm ganz fremd war. Während Goethe und Schiller den deutschen Geist über die Welt ergossen, ohne vom »deutschen« Geiste auch nur zu reden, erfüllen diese demokratischen Spekulanten alle deutschen Buch- und Bilderläden, alle sogenannten »Volks-« d. h. Aktien-Theater, mit groben, gänzlich schalen und nichtigen Bildungen, auf welchen immer die anpreisende Empfehlung »deutsch« und wieder »deutsch« zur Verlockung für die gutmütige Menge aufgeklext ist. Und wirklich sind wir so weit, das deutsche Volk damit bald gänzlich zum Narren gemacht zu sehen: die Volksanlage zu Trägheit und Phlegma wird zur phantastischen Selbstgefallsucht verführt; bereits spielt das deutsche Volk zum großen Teil in der beschämenden Komödie selbst mit, und nicht ohne Grauen kann der sinnende deutsche Geist jenen törigen Festversammlungen mit ihren theatralischen Aufzügen, albernen Festreden und trostlos schalen Liedern sich zuwenden, mit denen man dem deutschen Volke weismachen will, es sei etwas ganz Besonderes und brauche gar nicht erst etwas werden zu wollen. –


* »Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen treiben« – Wagners Wendung in Deutsche Kunst und deutsche Politik (1867) ist im Dritten Reich zum geflügelten Wort geworden.

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