GHDI logo

Frau Marion Beymes Erinnerungen an Marburg und Berlin während der NS-Zeit (Rückblick, Anfang der 90er Jahre)

Seite 4 von 12    Druckfassung    zurück zur Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument


Und sie erinnerte sich an eine ähnliche Anziehungskraft. »Ich bin sehr gegen das Militär. Aber wenn ich Militärmusik höre, bekomme ich eine Gänsehaut, und ich« – sie stockte – »muß mir immer wieder klarmachen, daß ich gar nichts damit zu tun haben will. Es ist eine Gefahr.«

Sie erzählte auch von der gefährlichen Wirkung der Worte während des »Dritten Reiches«, nämlich von jenen diabolischen, mit geschickten Alliterationen arbeitenden Ausdrücken und Sätzen, die aus Goebbels’ Propagandaministerium kamen. Ein Beispiel war das umgangssprachliche Wort »Kohlenklau«.

»Während des Krieges sollte man Kohlen sparen. Und wer Kohlen vergeudete, war ein Kohlenklau. Meist war nur in einem Zimmer geheizt, das ganze andere Haus war kalt – da kam jemand rein, ließ die Tür offenstehen, dann hieß es: ›Kohlenklau, mach doch die Tür zu.‹«

Wurden solche Wörter und Sprüche auf der Straße verwendet?

»O ja, immer. Das kannte jeder, und das wurde auch viel gesagt.« Ihr Ehemann fügte hinzu: »Man hörte das einmal, dann behielt man es. Da war der Goebbels wirklich ein Meister in solchen Dingen. Und vor dieser raffinierten psychologischen Arbeit konnte sich ein normaler Mensch kaum schützen, kaum enthalten.«

Doch weder die Faszination der Massen noch die Raffiniertheit der Phrasen konnte Frau Beck beeinflussen. Sie widersetzte sich auch weiterhin den Nazis, indem sie deren Direktiven zu ignorieren versuchte. Eine Anordnung bestand darin, sich eine Nazi-Fahne zu kaufen. Das Hakenkreuzbanner war für viele deutsche Häuser zu vorgeschriebener Dekoration, besonders für jene, die an den Aufmarschrouten der Nazis lagen – je größer die Fahne, desto besser.

»Und das wurde schließlich sehr schwierig. Da kamen immer Leute und sagten, warum haben Sie keine Fahne ausgehängt, an Hitlers Geburtstag und so«, sagte Frau Beyme. »Man kam beinahe ins Gefängnis; es war so sehr gefährlich, wenn man es nicht tat. Es kam immer jemand, klingelte bei uns und sagte, Sie haben wieder keine Fahne ausgehängt, und dann schließlich hat meine Mutter so ein ganz, ganz kleines Ding gekauft. Man mußte sie doch an einer Stange aufhängen, nicht, und sie hat die nur einfach übern Balkon gehängt, wie so einen kleinen Teppich, den man vorm Bett liegen hat.«

Die Heldenhaftigkeit ihrer Mutter mag im Vergleich zu derjenigen anderer Leute geringfügig scheinen, doch ihre Tochter, die mit ihr diese Zeiten durchlebte und ihre Ängste teilte, bewunderte sie nach wie vor rückhaltlos. »Sie war so eine tapfere Anti-Nazi. Vor der habe ich überhaupt eigentlich meine Einstellung. Es ist nicht mein Verdienst, sondern ich verdanke es meiner Mutter. Sie war ganz ungeheuer mutig und ist auch gar nicht immer vorsichtig gewesen, so daß wir eigentlich große Angst um sie hatten.

Sie war konsequent gegen die Nazis. Sie sollte immer mitkommen zu solchen Ortsgruppenabenden, wo die Nazis zusammenkommen. Da hat sie immer gesagt, ach, sie könne nicht, sie könnte nicht so weit laufen. Das war doch ein bißchen außerhalb, es wäre zu dunkel abends, sie würde ängstlich und lauter Ausreden. Und dann kam so ein furchtbarer Nachbar hier, der hatte ein Amt, Blockwart, und er sagte zu meiner Mutter: ›Wenn Sie ängstlich sind, ich bringe Sie da hin und ich bringe Sie wieder nach Hause.‹ –›Um Gottes willen‹, hat meine Mutter zu mir gesagt, ›vor dem habe ich noch viel mehr Angst als vor der Dunkelheit.‹«

Frau Beyme lachte bei dieser Erinnerung hell und vernügt auf. »Sie ist kein einziges Mal mitgegangen.«

Eines Abends brachten die Versuche des hoffnungsvollen Blockwarts, Frau Beck zur Teilnahme an einer Versammlung zu überreden, beide Frauen in Gefahr. »Einmal ist dieser schreckliche Mann ins Haus gekommen, um ihr zuzureden, am Abend mitzugehen. Da hatten wir unser Radio auf den Feindsender eingestellt. Meine Mutter hat so gezittert, daß er hingucken würde. Aber er hat nicht hingeguckt, es ist nichts passiert.«

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite