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Der Direktor des Zentralinstituts für Jugendforschung äußert sich zur zunehmenden Entfremdung der Jugendlichen von der DDR (21. November 1988)

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Speziellere sozialistische Werte und Ziele verlieren jedoch gegenwärtig stark an Attraktion. Das Identifikationspotential nimmt ab; z.B. Sozialismus als überlegenes Gesellschaftsmodell, Elemente des Klassenbewußtseins, kommunistische Überzeugungen und Ideale, Anerkennung des Marxismus-Leninismus als Lebensphilosophie, das Feindbild, die Verteidigungsbereitschaft etc.

Darauf wurde in unseren Berichten sehr ausführlich hingewiesen, viele Belege wurden erbracht.

Kritik wird an Institutionen (Partei, FDJ), an Gruppen, besonders an einzelnen Personen (Politikern, Kommentatoren, Journalisten, Funktionären, Genossen, Leitern, Erwachsenen) dann geübt, wenn sie sich nicht erwartungsgemäß, nicht normgerecht verhalten. Wenn sie autoritär, nicht-partnerschaftlich auftreten, sich privilegiert geben, Wasser predigen und Wein trinken, gegen sozialistische Normen verstoßen, als Obertanen kommen.

Ich bin davon überzeugt, daß es sehr wichtig ist, die Vielfalt dieser und anderer hier (noch) nicht genannter Oberflächenphänomene mit dem Achsensyndrom „verändertes“ Selbstbewußtsein in Zusammenhang zu bringen. Das ist zwar kein Universalschlüssel zu ihrer Erklärung, aber doch ein fundamentaler Zugang. Dieser Zugang eröffnet für Politik, Leitung, Erziehung, Propaganda bedeutende Erkenntnisse, Möglichkeiten, Chancen und Perspektiven.

Wir sollten die Problematik weiter im Auge behalten und vertieft empirisch untersuchen.

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6. Einige Bemerkungen zu den Ursachen des Mentalitätswandels

Der sich gegenwärtig in der DDR vollziehende Mentalitätswandel ist außerordentlich komplex und vielschichtig determiniert. Dieser Ursachenkomplex kann von mir nicht befriedigend aufgeklärt werden (Literatur, die nicht im Abstrakten stehen bleibt, gibt es nicht).

Also kann ich nur auf einige, mir wesentlich erscheinende Ursachenschichten/ Determinationsstrukturen verweisen.

Man muß unbedingt zwischen globalen und DDR-spezifischen Determinanten unterscheiden. Der Mentalitätswandel in der DDR ist sowohl durch allgemeine wie auch durch zahlreiche DDR-spezifische Faktoren determiniert, die miteinander strukturell verflochten sind. Weder das Allgemeine noch das DDR-Spezifische darf übersehen werden.

Der Mentalitätswandel hat seine unverwechselbare DDR-Charakteristik. Er kann nicht mit dem „postmaterialistischen Wertwandelschub“ in den westlichen kapitalistischen Ländern einfach identifiziert werden, obwohl er einige dieser Merkmale, teilweise jedoch in anderen strukturellen Zusammenhängen, einschließt.

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