– Wir brauchen ein ganz realistisches Verhältnis zur Wirklichkeit der geistigkulturellen Erscheinungen und vor sich gehenden Prozesse.
Ich glaube, daß wir besonders auf hoher Leitungsebene unsere Wirklichkeit nicht genügend mit ihren Widersprüchen und neuen Erscheinungen sehen wollen.
Nach wie vor werden die Berichte „nach oben“ hin schöngefärbt, Informationen werden selektiert weitergegeben.
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5. Über den Mentalitätswandel in der DDR
Seit längerer Zeit beschäftigen uns die Veränderungsprozesse im Bewußtsein und Verhalten unserer Jugend. Diese sind gewiß auch bei der erwachsenen Bevölkerung vorhanden, vielleicht sogar stärker ausgeprägt, aber uns nicht genau bekannt.
Ich habe gelegentlich diese Prozesse als Mentalitätswandel bezeichnet und will diesen Ausdruck interpretieren.
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Ich gehe von der Hypothese aus, daß es ein Achsensyndrom des Mentalitätswandels gibt: das sind Veränderungen im Selbstbewußtsein der Menschen in Richtung eines höheren Selbstwerterlebens, einer stärkeren Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Ein solcher (epochaler) Trendprozeß muß zwangsläufig zu folgenreichen Veränderungen in der Persönlichkeitsstruktur, im Gefüge der Wertorientierungen und Verhaltensweisen der Menschen führen.
Ich sehe (im 1. Hypothesen- Entwurf, die Sache muß empirisch weiter verifiziert werden) folgende Komponenten dieses Achsensyndroms „Selbstbewußtsein“:
– Entwicklung des Selbstwerterlebens, des Selbstanspruchs. [ . . . ]
– Entwicklung der Selbstbestimmung. [ . . . ]
Teilweise kommt es zu übertriebenen antiautoritären Verhaltensweisen. Die Folgen sind: Zusammenstöße mit Autoritäten aller Art (Eltern, Lehrer, selbstgerechte Funktionäre, unglaubwürdige, nicht realistisch, sondern plakativ informierende Medien/Medienakteure. Ablehnung der Beweihräucherung von Politikern, Künstlern, Sportlern (so leider auch Katharina Witt!) u. a. Personen. Man ist gegen alle Formen der Besserwisserei und des Personenkults.