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Europäisches Währungssystem (6. Dezember 1978)

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Man kann die negativen Erfahrungen mit dem Auseinanderdriften der europäischen Währungen am besten belegen, wenn man sich die Statistik anschaut und sieht, wie seit den Währungsunruhen, die seit 1973/74 besonders kräftig geworden sind, der innergemeinschaftliche Wirtschaftsaustausch gegenüber dem außenwirtschaftlichen Austausch außerhalb der Gemeinschaft relativ zurückgeblieben ist. Während von 1957 bis zum Jahre 1973 der Wirtschaftsaustausch innerhalb der Gemeinschaft ständig schneller gewachsen ist als der Weltwirtschaftsaustausch – dadurch drückte sich ja der zunehmende Integrationsprozeß des Gemeinsamen Marktes aus –, ist in den letzten drei, vier Jahren der innergemeinschaftliche Handel gegenüber dem Welthandel relativ zurückgeblieben. Dadurch drückt sich eine quantitativ ins Gewicht fallende Desintegration auf Grund der Währungsverschiedenheiten aus.

Wenn man das noch drei, vier, fünf oder noch mehr Jahre laufen ließe, müßte ich fürchten, daß dadurch nicht nur der gemeinsame Agrarmarkt zerstört würde. Der ist durch den Währungsauseinanderfall schon zerstört. Ihn gibt es in Wirklichkeit nicht. Es gibt nicht denselben Preis für einen Liter Milch oder für ein Pfund Butter in zwei verschiedenen europäischen Ländern; jedenfalls nicht für die Konsumenten, sondern den gleichen Preis gibt es nur für die Rechner. Der Agrarmarkt ist also schon auseinandergefallen. Der Agraraustausch ist heute in Europa schwieriger als vor 50 Jahren. Seinerzeit brauchte man nur Zölle zu bezahlen. Heute muß man unglaubliche Berechnungen anstellen, um zu wissen, was man für ein Pfund Butter verlangen darf.

Über den Zerfall des Agrarmarktes hinaus wäre auch ansonsten der Gemeinsame Markt gefährdet. Bei manchen könnte wohl auch die wirtschaftspolitische Disziplinierung durch die Rücksicht auf die eigene Währung – genauer gesagt: auf die eigene Zahlungsbilanz – abnehmen, so daß die Auseinanderentwicklung in stabile und weniger stabile Volkswirtschaften eher noch zunehmen könnte.

Ermöglicht worden sind die Beschlüsse, die gestern nacht gefaßt wurden und seit einem halben Jahr vorbereitet worden waren, durch ein zunehmendes geldpolitisches Stabilitätsbewußtsein in den Mitgliedsländern. Wenn man sich zum Beispiel die Inflationsraten der europäischen Mitgliedsländer im Jahre 1973 und 1974 anschaut und sie mit den Inflationsraten vergleicht, die all diese Nachbar- und Partnerländer heute erreicht haben, dann ist die Dämpfung der Inflation, die zwar in vielen Fällen nicht ausreicht, gleichwohl doch als ein wichtiger Erfolg der Umkehr des Bewußtseins nicht nur der Regierungen, auch der Parlamente, der öffentlichen Meinung, der Verbände, der Unternehmungen, der Gewerkschaften – wen immer Sie einbeziehen wollen – in jenen Staaten anzusehen.

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