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Bundeskanzler Kohl rechtfertigt die Einrichtung eines Deutschen Historischen Museums als Beitrag zur nationalen Einheit (28. Oktober 1987)

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Hinzu kommt, daß die Menschen in Deutschland unter der Trennung leiden – an einer Mauer, die ihnen im Wege steht und die sie abstößt. Sie wollen zusammenkommen, weil sie zusammengehören. Ich meine, daß die deutschlandpolitische Entwicklung der letzten Zeit eindrucksvoll bestätigt hat: Das Bewußtsein für die Einheit der Nation in beiden Teilen Deutschlands ist nicht nur ungebrochen, es ist in den vergangenen Wochen und Monaten sogar gestärkt worden . [ . . . ]

Bei aller Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit den Staaten des Warschauer Paktes, die dem beiderseitigen Vorteil und dem Wohle der Menschen dient, müssen wir uns stets darüber im klaren sein: Die Trennlinie, die Europa gegenwärtig durchzieht, ist die Trennlinie zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Freiheit und Unfreiheit. Dazwischen gibt es auch für uns Deutsche keinen Mittelweg; das ist eine der entscheidenden Lehren aus unserer Geschichte. Die Konsequenzen hieraus hat bereits Konrad Adenauer treffend beschrieben. Als die Bundesrepublik Deutschland am 5. Mai 1955 souverän wurde, erklärte er: „Es gibt für uns in der Welt nur einen Platz: an der Seite der freien Völker. Unser Ziel: in einem freien und geeinten Europa ein freies geeintes Deutschland.“ [ . . . ]

Gewiß sind die Völker im mitteleuropäischen Raum in besonderer Weise durch gemeinsame historische und kulturelle Wurzeln geprägt – dies wird uns auch das Deutsche Historische Museum wieder deutlich vor Augen führen. Diese historischen Gemeinsamkeiten des mitteleuropäischen Raumes konnten jedoch die politische Teilung Europas nicht aufhalten. Die eigentliche Ursache dieser Teilung ist, daß den Menschen jenseits der Trennlinie durch Europa Freiheit und Selbstbestimmung vorenthalten werden. Die Freiheit bleibt der Kern der Deutschen Frage, die immer auch eine „Europäische Frage" sein wird. Sie bleibt die Voraussetzung für die Überwindung des Gegensatzes zwischen Ost und West.

Dieser Gegensatz kann nur durch eine dauerhafte übergreifende europäische Friedensordnung überwunden werden, in der die Menschenrechte für alle Völker Europas ungeteilt und ungeschmälert verwirklicht sind. Nach wie vor ist Berlin der Brennpunkt der offenen Deutschen Frage. Eine Politik, die sich der Freiheit verpflichtet weiß, muß sich deshalb immer auch in den Dienst dieser europäischen Metropole der Freiheit stellen.

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Das Deutsche Historische Museum, das unweit – aber nicht im Schatten – der Mauer entsteht, wird das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit der Menschen im geteilten Deutschland vertiefen. Wir wissen, daß die Deutschen nur eine gemeinsame Geschichte haben. Aus diesem Wissen erwächst die Zuversicht, daß die Zukunft Deutschlands und Europas eine gemeinsame Zukunft sein wird – eine Zukunft, in der Berlin eine Brücke zwischen freien Menschen ist.



Quelle: Helmut Kohl, „Berlin bleibt Brennpunkt der Deutschen Frage“, Süddeutsche Zeitung, 29. Oktober 1987.

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