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Ein liberaler Intellektueller beschreibt die „Last, Deutscher zu sein” (2. September 1983)

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Sehr wahrscheinlich wäre es etwas einfacher mit einem deutschen Nationalbewußtsein, wenn die Demarkationslinie zwischen Ost und West nicht auch noch Rest-Deutschland in zwei Hälften geteilt hätte. Freilich hätte auch eine „Deutsche Demokratische Bundesrepublik DDBR“ schwer zu tragen gehabt am Erbe Hitlers, an den verlorenen Ostgebieten und am Mißtrauen der Supermächte. Dazu an dem, was in der Welt als „deutscher Nationalcharakter“ gilt. So ein richtig fröhlicher Nationalstolz wäre da auch nicht aufgekommen.

Aber was heißt: wenn die Teilung Europas nicht auch Westdeutschland geteilt hätte? Sie hat, und es ist sinnlos, über verschüttete Milch zu heulen. Unlängst wurden in Bonn Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, die noch zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition vom Ministerium für Innerdeutsche Beziehungen bei dem Meinungsforschungsinstitut Infratest in Auftrag gegeben worden war. Das aufschlußreichste Ergebnis: Während von der westdeutschen Gesamtbevölkerung etwa zwanzig Prozent einer Wiedervereinigung gegenüber sich gleichgültig oder ablehnend verhalten, sind es unter den jungen Leuten zwischen 14 und 21 Jahren doppelt so viele. Das bedeutet: In die Vorstellungen von „Deutschland“ auch Leipzig und Dresden mit einzubeziehen, wird die erwachsenen Deutschen von morgen nicht gerade natürlich ankommen.

Die jungen Deutschen fühlen sich als Angehörige einer Generation – das ist am eindeutigsten, am einleuchtendsten und am vergänglichsten. Denn was macht der Vierzigjährige, der einst gelobt hatte, „keinem über dreißig“ zu trauen? Die Solidarität der „Jugend“ trügt, weil Jugend so schnell vergeht. Die Bastion der deutschen Familie ist zerbröckelt, sicher nicht so ganz, sicher nicht so stark, wie es einseitige Soziologen darstellen; aber sicher auch stärker als in den romanischen Ländern. „Die Heimat“, sie hat wohl die am ehesten noch bindende Kraft. Wenn einer hierzulande schon noch stolz sein will, dann ist er stolz darauf, vom Bodensee oder von der Waterkant zu kommen, aus dem Schwarzwald oder aus dem Rheinland zu stammen, ein Bayer oder ein Hansestädter zu sein.

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